Der Dichter Horaz
Der Ausspruch “Carpe Diem” ist Teil des Schlusssatzes aus einer Ode des Dichters Horaz, die er vor mehr als 2000 Jahren verfasst hat. “Carpe diem, quam minimum credula postero.” bedeutet übersetzt “Genieße den Tag, und vertraue möglichst wenig auf den folgenden.” Horaz legt uns also nahe, dass wir unsere knappe Lebenszeit heute genießen sollen und nichts auf den nächsten Tag schieben.
Ein geflügeltes Wort
Der Satz “Carpe Diem” ist bis heute ein geflügeltes Wort. Es wird in unterschiedlichen Bedeutungen genutzt. Eine Übersetzung lautet “nutze den Tag”. Häufig wird es jedoch auch als “genieße den Tag” interpretiert.
Jeden Tag etwas Sinnvolles
In dieser Form schwingt der Kern mit, dass es gilt effektiv zu sein. Lass den Tag nicht verstreichen, ohne etwas Sinnvolles zu tun. Nutze ihn für dich! Für mich hieß das lange: nutze ihn, um zu arbeiten. Lass dich bloß nicht gehen, sondern sieh zu, dass du stets fleißig bist und etwas leistest. Ich habe den Tag genutzt und gearbeitet, um Anerkennung, Zuwendung und Aufmerksamkeit zu bekommen.
Heute steht weniger die Arbeit, mit der ich Geld verdiene, im Mittelpunkt meines täglichen Strebens oder nicht Strebens, sondern die Arbeit für mein Projekt “Mut zur Stille”, die Ausbildung zum Meditations- und Reiki-Lehrer nach dem Dalmanuta Prinzip, die ich als Coach unterstütze, oder die Vorbereitung meiner Meditationsabende. Auch wenn diese Arbeit Seelennahrung und Antrieb für mein Herz sind, bleibt an vielen Tagen ein schlechtes Gewissen, den Tag nicht genutzt zu haben.
Der Gegenpol
Die Interpretation als “genieße den Tag” ist fast ein Gegenpol zur ersten Sichtweise: schau nicht nur auf die Pflicht, sondern genieße auch dein Leben. Mir persönlich ist heute die zweite Interpretation deutlich lieber, als der Druck, den ich mir selber mit der ersten Sichtweise stets gemacht habe.
Erlaube dir, dein Leben zu genießen. Dein Leben ist nicht nur Arbeit, Arbeit, Arbeit und Pflichterfüllung, sondern auch Genuss und Freude. Die Erlaubnis, dein Leben zu genießen kannst nur du dir geben. Hast du dir schon erlaubt, Freude und Genuss zuzulassen?
Die eigentliche Bedeutung von Carpe Diem
Wörtlich übersetzt bedeutet Carpe Diem eigentlich “pflücke den Tag”. Carpe kommt von dem lateinischen Wort “carpere”, das pflücken, rupfen bedeutet. Wie kann ich also einen Tag pflücken? Was kann Horaz gemeint haben?
“Pflücke den Tag” ist in diesem Sinne eine Gärtner-Metapher. Pflücken erinnert an das Sammeln und Ernten reifer Früchte oder von Blumen. Damit verbunden ist stets ein sinnliches Erleben der Natur und damit auch eine Verbundenheit mit der Natur.
Aktiv werden
Anders als “genießen”, das eher passiv ist und Hingabe braucht, ist “pflücken” eine aktive Tätigkeit. Was ist nötig, wenn ich etwas pflücken möchte?
- Es geht nur, wenn ich rausgehe. Ich muss von der Couch aufstehen und aktiv werden, sonst ist es mir nicht möglich zu pflücken. Auch den Tag kann ich entsprechend nicht pflücken, wenn ich auf der Couch liege.
- Um zu pflücken, ist es nötig Kontakt zu gehen. Wenn ich Früchte pflücke, muss ich mich mit der Natur verbinden und Teil von ihr werden. Auch um den Tag zu pflücken, ist es nötig eine Verbindung aufzunehmen. Nur wenn ich in Kontakt mit meinem Tag bin, wenn ich mir bewusst bin, wie wertvoll er ist, kann ich pflücken.
- Und als dritter aber eigentlich erster Punkt: Es ist nötig, dass ich etwas gesät habe, die Pflanze gepflegt und mich darum gesorgt habe, damit ich etwas ernten kann. Ich kann den Tag also nur pflücken, wenn ich etwas säe, es achtsam pflege und dann kann die Freude kommen, beim Wachsen und reifen zuzusehen.
Kartoffeln
Die eigene Saat wachsen und gedeihen zu sehen, ist im gärtnerischen wie im übertragenen Sinn eine unglaubliche Freude. Als ich vor einigen Tagen meine ersten Kartoffeln in der Erde gefunden habe, war ich von Freude und Stolz erfüllt.
Kartoffeln lassen sich vielleicht mit der Arbeit für meine Projekte vergleichen. Die Früchte sind nicht sichtbar. Wenn meine Worte dich inspirieren, dich zum Innehalten und Reflektieren anregen und du den Mut findest, den nächsten Schritt auf deinem Weg zu machen, so ist das die größte Freude, die ich mir vorstellen kann. Auch wenn ich es nicht unbedingt sehe.
Die Balance des Carpe Diem
Für mich ist es eine Frage der Balance. Genießen gehört für mich zum Leben ebenso dazu wie den Tag zu nutzen, um etwas zu (er)schaffen. Beides vereint sich für mich darin, wenn ich mich ausrichte, um immer wieder den Tag zu pflücken.
Säen bedeutet immer wieder auch Arbeit. Damit etwas gedeihen kann, brauche ich Durchhaltevermögen, es gilt dran zu bleiben und nicht aufzugeben, wenn es einmal schwer wird. Und immer wieder erfüllt es mich mit Freude und ich genieße es, wenn ich die Früchte meiner Hände und meines Herzens Arbeit sehe. Alles ist verbunden.
Was säst du, damit du es pflücken kannst? Wie lebst du dein Carpe Diem? Denn vergiss nicht: Es ist dein Tag.
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