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Die Sehnsucht nach früher

Lesezeit: 3 Minuten

Anekdote

Ich habe neulich im Radio eine kleine Anekdote aus den fünfziger Jahren gehört. Die Großeltern eines Hörers hatten sich auf dem Rückweg von Italien verfahren und sind einfach einem Auto mit einem Düsseldorfer Kennzeichen gefolgt. Das ging jedoch schief, und statt in Düsseldorf sind die Großeltern in der Eifel gelandet.

Erinnerungen

Ich ließ meine Gedanken schweifen und erinnerte mich an meine Kindheit und Jugend in den achtziger und neunziger Jahren. Ich fühlte die Leichtigkeit und Freiheit dieser Zeit. Und für einen Moment sehnte ich mich so sehr zurück in diese Zeit. Alles schien damals leicht gewesen zu sein. Die Welt war nicht so schnell, die Welt war nicht so komplex wie heute.

Ohne Last

In meiner Erinnerung war diese Zeit ohne Probleme und ohne Last. In den Sommerferien war mein einziges Problem, ob ich mein Taschengeld im Freibad für Eis oder für Pommes ausgebe. Das ist jedoch ein Trugschluss! Früher war nicht alles einfach, früher war nicht alles besser.

Erinnerung verändert sich

Unser Gehirn macht das ganz clever. Erinnerungen verändern sich im Laufe der Zeit. Die leichten und schönen Erinnerungen bleiben viel besser haften, als die nicht so schönen Erinnerungen. Wir interpretieren die Erinnerungen. Negative und schwere Zeiten blenden wir später einfach aus und verklären die Zeit, wie in diesem Artikel gut erklärt wird.

Auch damals war nicht alles einfach

Schaue ich bewusst auch auf Erinnerungen, die nicht wie aus Bullerbü sind, kann ich mir klarmachen, auch damals war nicht immer alles einfach. Ja, als Kind habe ich definitiv weniger Verpflichtungen. Ich bin weniger in einer Tretmühle gefangen. Als Kind nehme ich vieles an Komplexität um mich herum gar nicht wahr.

Dennoch erinnere ich mich gut, dass mein Leben als Kind auch oft schwer war. Ich erinnere mich sogar noch an Situationen, dass ich geweint habe, weil ich Mittagsschlaf machen muss. Was würde ich heute darum gehen, wenn mich jemand ins Bett steckte und sagen würde, ich müsste jetzt eine Stunde schlafen. Aber damals war das schlimm.

Weg vom Jetzt

So schön die Erinnerung und die Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“ auch ist: In dem Moment, wenn ich mich in die Vergangenheit sehne, verlasse ich den jetzigen Moment. Ich lehne das Jetzt ab.

Als ich die Anekdote über das Auto mit Düsseldorfer-Kennzeichen gehört habe, hatte ich so eine Sehnsucht nach früher und nach einer vermeintlich heilen Welt, dass ich es fast weh tat in der heutigen Zeit zu leben. Damit verlasse ich jedoch das einzige Leben, was ich momentan habe. Ich wünsche mir, dass das, was jetzt ist, bitte anders sein soll.

Doch ich habe immer nur das Jetzt. Ich folge also einer Illusion, wenn ich in den Erinnerungen schwelge und diese idealisiere: Früher war alles besser!

Definitiv nicht

Früher war definitiv vieles nicht besser.

  • Kinder wurden im Auto nicht angeschnallt. Bei kleinen Unfällen kamen Babys oder sehr kleine Kinder oft zu sehr großem Schaden.
  • Auch die Umweltverschmutzung war aus heutiger Sicht oft einfach krass. Ich bin im Ruhrgebiet aufgewachsen und kann mich noch an einen Horizont von Schornsteinen erinnern, die den Himmel verpestet haben.
  • Die Gleichberechtigung von Männern und Frauen fehlte früher noch viel krasser als heute. Bis 1958 durften Frauen z. B. nur dann arbeiten gehen, wenn der Mann es erlaubte. Und wenn die Frau arbeiten ging, stand dem Mann die Verwaltung ihres Lohnes zu.

Der Gedanke „früher war alles besser“ stimmt so also einfach nicht. Ich mag schöne Erinnerungen an frühere Zeiten haben. Ich bin sehr, sehr dankbar, dass ich so viele wunderbare Erinnerungen an meine Kindheit und Jugend habe. Aber damals war es weder Gesellschaftlich besser, noch waren die Zeiten für mich immer einfach.

Sehnsucht

Wenn ich mich in die Vergangenheit zurück sehne, sehne ich mich also nicht wirklich nach der früheren Zeit, sondern nach den Gefühlen von damals. Ich wünsche mir die Geborgenheit auf dem Schoß meiner Mutter zurück. Ich sehne mich nach einer Gewissheit, dass jemand für mich da ist und meine Probleme für und mit mir löst, wenn ich nicht klarkomme. Und das wünsche ich mir heute auch manchmal.

Ich bin da

Die kleine Anne, die das damals so erleben durfte, ist noch in mir. Und manchmal ist ihr alles das, was heute um mich herum ist, zu viel. Die Klimakatastrophe bedrückt mich jeden Tag. Der Ruck nach rechts, der durch die ganze Gesellschaft geht, lässt mich im Bett abends manchmal nicht einschlafen.

Und dann wünsche ich mir, es gäbe jemanden, der mich auf den Schoß nimmt und sagt: „Alles wird gut.“ Aber anders als früher, ist das nicht jemand anderes. Dieser jemand bin heute ich!

Ich als Erwachsene bin da und kann mein inneres Kind auf den Schoß nehmen. Ich als Erwachsene bin da und kann sehen: auch heute wendet sich vieles zum Besseren. Es geschehen jeden Tag so viele Dinge, in der sich das Leben zum Besseren wendet. Und manchmal, wenn ich nicht aushalte, was in der Welt geschieht, ist es in Ordnung den Blick für einige Momente nur auf das zu wenden, was Gutes da ist.

Helfende Fragen

Kennst du auch dieses Gefühl, du kannst die jetzige Situation nicht aushalten? Du fühlst dich so hilflos und alleine gelassen mit so großen Sorgen und Problemen?

Gerade in Situationen, in denen das Leben schwer erscheint, helfen mir diese Fragen: Was ist jetzt im Moment Gutes in meinem Leben? Wofür kann ich in diesem Moment dankbar sein?

Mit dieser Übung gelingt es mir, etwas Leichtigkeit in mein Leben einzuladen und dabei dennoch ganz im Jetzt zu bleiben. Ich muss nicht in die Vergangenheit flüchten, verzweifelt an etwas festhalten, was vielleicht längst vorbei ist . Aber ich darf den Blickwinkel auf das liegen, was momentan Gutes da ist.

Einladung

Wenn du magst, schließe einige Atemzüge deine Augen und lasse dich auf diese kleine Übung ein. Lass einfach Bilder in dir aufsteigen.

Was ist momentan Gutes in deinem Leben?
Wofür kannst du dankbar sein?

 

Danke fürs Lesen.

 

Bildnachweis für diesen Beitrag: Fotos, Album, Früher © congerdesign (pixabay CC-0)

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