Eine Weihnachtstradition
Letzte Woche war ich bei meinen Eltern, um mit meinem Vater die Klöße für Weihnachten vorzubereiten. Früher haben meine Oma und meine Großtante stets die Klöße für das Familien-Weihnachtsessen an Heiligabend vorbereitet. Vor Jahren hat mein Vater es übernommen, die Klöße nach dem Familienrezept herzustellen. Da es ihm inzwischen nicht mehr leicht fällt, habe ich ihn unterstützt.
Ein Satz, der mich berührt hat
Während ich die gekochten Kartoffeln gepellt habe, hat mein Vater einen Satz gesagt, der mich sehr berührt hat: “Ich bin inzwischen zu nichts mehr nütze. Ich bin nutzlos.” Laufen und Stehen ist für meinen Vater schmerzhaft. Auch Hausarbeiten wie Kartoffeln pellen strengen ihn sehr an. Daher sein Satz, er sei nutzlos. Er wirkte sehr traurig. Etwas hilflos habe ich ihm geantwortet: “Aber Papa, kein Mensch ist nutzlos. Oder ist ein kleines Baby, das noch nichts leisten kann, nutzlos?”
Der Wille zu leisten
Ich glaube nicht, dass meine Antwort für meinen Vater etwas geändert hat. Sein Leben ist geprägt durch den Willen zu leisten. Er hat stets gearbeitet und vieles erreicht in seinem Leben. Nun, da es ihm schwerfällt, etwas zu schaffen, nimmt er einen Mangel wahr. Er sieht sich selber nicht mehr als wertvoll an, weil er nicht mehr in der Lage ist, zu “arbeiten”. Damit ist aus seiner Sicht, sein Leben nutzlos geworden.
Leistung als Wertmaßstab
Nicht nur in der Generation meiner Eltern ist diese Sicht auf das Leben weit verbreitet. Auch ich habe meinen Wert lange daraus gezogen, was ich leiste. Menschen, die weniger leisten, habe ich zwar nicht abgewertet, aber für mich selber galten immer die höchsten Maßstäbe. Meine Leistungsbereitschaft gaben mir das Gefühl, etwas sinnvolles beizutragen. Mein Leben hatte einen Nutzen.
Die Erkenntnis muss früher kommen
Als mein Vater diesen Satz sagte, wurde mir schlagartig klar: Die Erkenntnis und Klarheit über den eigenen Wert kommt nicht irgendwann von alleine. Es ist wichtig, dass ich mich so früh wie möglich damit beschäftige. Irgendwann kommt der Punkt, an dem es zu spät ist. Die Erkenntnis passiert dann nicht mehr.
Die Wahrscheinlichkeit ist recht groß, dass auch ich eines Tages nicht mehr viel leisten kann. Ich werde vielleicht meinen Haushalt nicht mehr alleine schaffen oder mich selber nicht mehr waschen können, wenn ich auch so alt werde wie mein Vater ist oder meine Oma geworden ist. Sollte ich dann noch immer in der Überzeugung leben, dass mein Wert daran hängt, was ich leiste, falle auch ich in das Loch, “nutzlos zu sein”.
Warte nicht
Warte also nicht darauf, dass die Erkenntnis über deinen Wert oder die Liebe zu dir eines Tages schon kommen wird. Gehe jetzt auf dich zu. Begegne dir selber außerhalb dessen, was du leistest.
Ein guter Weg für mich ist es, in die Stille mit mir selber zu gehen. Wenn ich regelmäßig Zeit mit mir verbringen, in der ich nichts leiste, nichts erreichen will, nichts gut oder richtig machen muss, gilt es nur, mich selber auszuhalten. Für mich ist Mediation diese Begegnung mit mir selber.
Meinen Wert spüren
Bei den Meditationsabenden meines Lehrers, Peter Michael Diekmann, war eine Zeit eine Übung Teil des Abends, bei der ich meinen eigenen Wert spüren sollte. Zunächst ging es darum, in Verbindung zu gehen mit allem, was lebendig ist, und dessen Wert zu spüren. An Sommerabenden, wenn die Vögel draußen singen oder das Abendrot zu sehen ist, fällt mir dies sehr leicht. Auch sonst kann ich den Wert des Lebens spüren und mich damit verbinden.
Was wäre die Welt ohne mich?
Im nächsten Schritt ging es dann darum, meinen eigenen Wert zu spüren und wahrzunehmen, wie wertvoll ich bin. Dies fiel mir sehr schwer. Es blieb für mich ein Gedanke, der im Kopf blieb. Im Herzen konnte ich meinen Wert nicht spüren. Was wäre die Welt ohne mich? Wenn es mich nicht gäbe, würde mich keiner vermissen. So waren meine Gedanken.
Erkenntnis mit dem Herzen
Die Erkenntnis über meinen Wert konnte ich nicht erarbeiten oder mir dazu Gedanken machen. Sie kam aus meinem Herzen. Wenn ich nicht geboren worden wäre, wäre das Leben einiger Menschen anders verlaufen. Mir ist bewusst geworden, dass ich für Menschen, denen ich begegne, einen Unterschied machen kann. Dadurch, dass ich da bin und etwas sage oder tue, verändert sich für diese Menschen etwas. Das Leben von Menschen hat einen anderen, manchmal besseren Verlauf genommen, weil ich Teil ihres Lebens bin oder war.
Ich brauche nichts zu leisten
Und das liegt nicht daran, dass ich etwas Besonderes leiste, sondern dass ich da bin, dass ich Mitgefühl habe, dass ich ihnen auf Augenhöhe begegne. Manchmal kann ein Lächeln für einen Menschen den kleinen Unterschied an einem miesen Tag machen.
Das klingt für dich jetzt vielleicht banal, aber das macht es für mich aus: Ich bin ein Mensch und mir begegnen andere Menschen. Und so trete ich ihnen gegenüber, egal ob sie reich oder arm sind. Egal, ob sie etwas leisten oder Hilfe brauchen. Das gelingt mir nicht jeden Tag. Und den Anspruch habe ich auch nicht an mich.
Der Wert der Anderen
In dem Moment, in dem mir bewusst wird, wie wertvoll der Mensch mir gegenüber ist, komme ich meinem eigenen Wert näher. Denn für den anderen bin ich dieses Gegenüber.
Es gibt einen für mich sehr wichtigen Satz, den Josef Ratzinger gesagt hat: Jeder ist gewollt, jeder ist geliebt, jeder ist gebraucht. In seiner ersten Predigt als Papst Benedikt der XVI hat er diesen Satz gesagt. Dieser Satz ist wahr. Das spüre ich im Herzen, nicht im Kopf.
Du bist dieses Kind
Wenn du noch im Kopf bist und es dir schwerfällt ins Herz zu kommen, dann frage dich: Wie wertvoll ist ein kleines Kind, ein neugeborenes Baby? Fragst du seine Eltern, so werden sie sagen, es ist für sie das Wertvollste auf der Welt. Ich habe selber keine Kinder, aber ich kann auch dieses Gefühl spüren, wenn ich ein kleines Kind sehe. Dieses Kind ist etwas ganz besonderes. Es ist so wertvoll wie das Leben selber.
Mache dir bewusst: Du bist dieses Kind! Du hast nichts von deinem Wert verloren, nur weil du erwachsen bist. Jeder Mensch ist dieses Kind. Und jeder Mensch ist so wertvoll wie dieses Kind. Und das ist für mich eine der Botschaften von Weihnachten.
Bildnachweis für diesen Beitrag: Baby, Neugeborene, Schlafen © FamilyPhotoStudio (pixabay CC-0)
Sehr schöne Worte, Danke! K., ,50 plus, arbeitslos, kinderlos, nutzlos…..
Liebe(r) K., danke für deine Worte hier. Hier freue mich, dass mein Text dich berührt hat. Und deine Worte haben mich sehr berührt. Das ist ein wundervolles Geschenk für mich heute. Danke, dass du dieses Geschenk für mich hier gelassen hast.
liebe anne, das ist für mich ein unfassbar hilfreicher satz, der mir in meiner momentanen situation richtig gut weiterhilft. ich danke dir von herzen für diese gedanken, die sich so stimmig anfühlen und mich nun durch die kommenden weihnachtstage begleiten werden. Danke für alle deine Impulse, die für mich ein ganz wertvolles geschenk sind.