Ist es dir aufgefallen?
Ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist. Seit mehr als sechs Wochen habe ich keinen Artikel geschrieben. Mut-zur-Stille war auch gar nicht in meinem Kopf. Na klar habe ich zwischendurch daran gedacht. Irgendwie hatte ich auch ein schlechtes Gewissen, dass ich mich nicht hingesetzt und geschrieben habe. Aber irgendwie auch nicht richtig. Innerlich wusste ich (oder ich habe gehofft), dass der Wunsch, etwas zu schreiben von alleine wieder kommen würde.
Ein Versprechen
Und nun sitze ich hier und schreibe. Es ist wieder ein Neuanfang. Seit 2018 gibt es meinen Blog auf Mut-zur-Stille. Fünf Jahre habe ich jede Woche einen Artikel geschrieben, meistens Sonntagabend. Angetrieben von dem Versprechen, das ich mir und dir gegeben habe: Jede Woche am Montag erscheint ein neuer Artikel zu dem, was mich bewegt.
Kein Grund
Es gibt keinen Grund, warum ich jetzt über einen längeren Zeitraum nicht geschrieben habe. Ich habe keinen Stress auf der Arbeit oder im Privaten. Ich habe kein großes anderes Projekt, was ich nach vorne treibe. Irgendwie hat es nicht gepasst. Und in meinem Fall ist das tatsächlich eine freundliche Umschreibung von: Ich hatte keine Lust.
Nur ein Fünkchen Wahrheit
Ich bin kein Fan von Sätzen wie „es hat halt nicht sein sollen“ oder „die Zeit dafür wird schon wieder kommen“. Einerseits ist in diesen Worten ein Fünkchen Wahrheit drin. Aber viel, viel mehr ist es eine wunderbare Ausrede. Als gäbe es einen größeren, kosmischen Grund, warum ich meinen Hintern nicht hochbekommen habe. Den gibt es aber nicht. Und ich mag mich nicht hinter diesen so gerne gesagten Sätzen verstecken. Mir geht es gut. Mir geht es tatsächlich gut damit, dass ich mein Versprechen gebrochen habe.
Gebrochenes Versprechen
Alles in mir schreit: ES DARF DIR NICHT GUT GEHEN, WENN DU EIN VERSPRECHEN BRICHST. Ja, das stimmt. Wenn ich etwas verspreche und es nicht einhalte, ist es in Ordnung ein schlechtes Gewissen zu haben. Denn ich habe einen Menschen enttäuscht, der sich auf mich verlassen hat.
Hier ist es etwas anders. Ja, ich habe mir selber das Versprechen gegeben und damit auch dir und jedem/jeder anderen Leser und Leserin. Aber niemand verlässt sich auf mich. Es hängen keine Konsequenzen daran, ob ich meinen Artikel veröffentlicht oder nicht.
Der Antreiber
Und der Treiber hinter meinem Durchhaltevermögen war mein innerer Antreiber. Ein Glaubenssatz, der mir immer wieder sagt: Wenn du nicht leistest, verdienst du es nicht, akzeptiert und geliebt zu werden. Dieser Glaubenssatz hat mich sehr erfolgreich werden lassen. Ich bin immer die extra Meile gelaufen, habe immer 110 % gegeben, habe mich nie mit Mittelmäßigkeit zufriedengegeben. Ich wäre heute nicht da, wo ich bin, wenn ich diesen Glaubenssatz nicht gehabt hätte.
Ein teurer Preis
Auf der anderen Seite habe ich einen teuren Preis gezahlt. Ich habe Leistung über Vergnügen oder Erholung gestellt, ja sogar über Freundschaft. Ich habe Freundinnen vor meiner Haustür warten lassen, weil ich noch meine E-Mails im Büro checken musste. Ja genau, muss nur noch schnell die Welt retten. Heute verstehe ich das nicht mehr. Leistung war mir wichtiger als die Menschen, mit denen ich gerne Zeit verbringen wollte.
Es ist weg
Vor 1,5 Jahren konnte ich berufsbedingt ein Coaching machen. Dort haben wir auch über die Last gesprochen, dass ich stets alles geben will, immer gut sein will. Dieser Druck führt zu dem Wunsch, alles möglichst zu kontrollieren, um sicherzustellen, dass es wirklich, wirklich richtig gut ist. Also: mein Hang zum Perfektionismus.
So hilfreich mir mein Streben im Job oft war, so belastend war es immer auch. So viel Druck und Stress, die mir mein Leben schwer gemacht haben, habe ich mir stets selber gemacht. Weil ich gut sein musste, um geliebt zu werden, habe ich mich nicht mit weniger als 98,5 % zufriedengegeben (100 % habe ich in meiner Wahrnehmung nie erreicht). Das habe ich während des Coachings erkannt. Ich wusste es vorher schon, konnte meinen Drang, alles zu kontrollieren jedoch nicht verändern. Und jetzt ist es irgendwie weg. Und das ist für mich immer noch ein Wunder.
Nebenwirkungen
Mein Leben ist noch leichter geworden, ich fühle mich viel freier und entspannter. Und gleichzeitig hat so eine Veränderung auch Nebenwirkungen. Ich stehe jetzt manchmal im Hörsaal und habe einen Fehler auf einer PowerPoint-Folie oder ich weiß nicht mehr, was ich zu der Folie sagen wollte. Weil du dich nicht richtig vorbereitet hast, flüstert die alte Stimme in mein Ohr. Und die neue Stimme sagt laut und kräftig: Und diese kleinen Fehler sind nicht schlimm. Du bist keine bessere oder schlechtere Dozentin, wenn du nicht perfekt vorbereitet bist.
Eine andere Nebenwirkung ist mein Schreiben bei Mut-zur-Stille. Der Druck, mein Versprechen um jeden Preis einzuhalten, ist weg. Und dann passiert es, dass ich tatsächlich nicht schreibe und kein schlechtes Gewissen habe.
Es tut mir leid
Und das hat ganz und gar nichts damit zu tun, „dass es eben nicht sein sollte“. Nein, ich hatte einfach keine Lust und kein Glaubenssatz hat mich sonntagabends um 21:00 Uhr dazu getrieben, mich an den Computer zu setzen.
Ich finde das auf der einen Seite sehr schade. Das Schreiben gibt mir unglaublich viel. Im Schreiben erlebe ich einen Flow. Ich beginne mit einer Idee oder nur dem Funken einer Inspiration. Und dann fange ich an, zu schreiben, und einige Zeit später habe ich einen fertigen Artikel. Die Worte und die Inhalte fließen aus meinen Händen in die Tastatur.
Und es tut mir auch darum leid, dass mein Text, den ich nicht schreibe, keine Inspiration oder Impuls für dich sein kann. Meine Ideen oder Gedanken blieben in den letzten Wochen nur in meinem Kopf und Herzen. Ich konnte damit niemanden berühren, der genau diese Worte an dem Tag vielleicht gebraucht hat.
Das verlorene Feuer
Wird dieser Artikel ein Neuanfang? Ist das „verlorene Feuer“, von dem ich vor mehreren Monaten geschrieben habe, wieder da? Ich weiß es nicht. Nur aus den Ideen und dem Wissen, im Schreiben erlebe ich einen Flow und hinterher fühlt es sich so gut an, werde ich die Disziplin, die es für einen Artikel pro Woche braucht, wahrscheinlich nicht bekommen. Nach dem Sport fühle ich mich auch immer toll, mache aber trotzdem nicht jeden Tag Sport. Ohne den Drang, dranbleiben zu wollen, klappt es nicht.
Nährende Energie
Und so ist es auf jeden Fall ein Neuanfang. Ich werde schauen, wie meine Arbeit für Mut-zur-Stille ohne den Glaubenssatz wird. Ich möchte schreiben, aber ich möchte den Druck von früher nicht zurück.
Hier zu sitzen, die Worte auf dem Bildschirm erscheinen zu sehen, erfüllt mich, es nährt mein Herz. Das ist die Energie, die ich in mein Leben einladen möchte. Diese Qualität erlebe ich auch in anderem Tun, in der Arbeit mit Studierenden, in Gesprächen und auch wenn ich meine Pflanzen im Garten pflege. Die gebende Richtung ist Teil meines Lebens. Und das erfüllt mein Leben. Und Mut-zur-Stille ist ein Teil davon.
Stetigkeit des Lebens
Ich glaube, wir müssen uns regelmäßig neu erfinden. Veränderungen sind die Stetigkeit des Lebens. Nichts ist so beständig, wie die Veränderung. Und so wie ich mich verändere, verändert sich vielleicht auch Mut-zur-Stille. Und ein Neuanfang, wie dieser, ist jederzeit möglich. Auch für dich.
Dein Neuanfang
Wo brauchst du in deinem Leben einen Neuanfang? Wo hast du das Gefühl, festzustecken?
Manchmal steckt man in einer alten Haut, die zu eng geworden ist. Es fühlt sich nicht richtig falsch an, aber es fühlt sich auch nicht mehr richtig an. Bei welchem Projekt möchtest du wieder Gas geben? Wo möchtest du mehr in die gebende Richtung kommen und deiner Seele Nahrung geben?
Wenn du magst, halte einige Augenblicke inne. Schließe kurz deine Augen und atme. Welches Bild oder welcher Impuls kommt dir? Und dann mache dir bewusst: Ein Neuanfang ist immer möglich! Vielleicht ist es nicht in dem Umfang möglich, wie es z.B. nach dem Schulabschluss war, als alle Wege offen standen. Aber es gibt immer einen Bereich in deinem Leben, in dem du etwas verändern kannst und neu beginnen kannst.
Ein neues Abenteuer
Auch wenn es sich vielleicht total festgefahren anfühlt, ist es das nicht. Erwarte nicht die große Veränderung über Nacht, das ist meistens nicht realistisch. Aber kleine Schritte gehen sofort.
Wie gestaltest du z. B. deinen Start in den Tag? Drückst du den Wecker zehnmal weg und bist dann zu spät dran? Änder das! Nimm dir vor: Morgen mache ich das nur für mich. Ich wage ein neues Abenteuer und stehe sofort auf, wenn der Wecker klingelt. Das muss ich nur morgen so machen. Und die gewonnene Zeit beginne ich damit, dass ich am offenen Fenster stehe und in den Himmel schaue. Mehr nicht.
Und am nächsten Tag, schaust du mal, ob du das Abenteuer noch mal erleben kannst. Du musst es nur morgen tun. Nicht die nächsten zehn Jahre, nur morgen. Und das jeden Tag. Aber schau nicht auf die zehn Jahre. Frage dich nur: Schaffe ich es morgen früh? Nur an diesem Tag?
Was ist in deinem Leben festgefahren?
Welchen Neubeginn wagst du morgen?
Danke fürs Lesen
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