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Warten ist out

Eine Taschenuhr liegt im Sand als Symbol für das Warten mit seiner Vorfreude.
Lesezeit: 3 Minuten

Wann hast du zuletzt etwas wirklich sehnsuchtsvoll erwartet?

Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie ich der nächsten Folge meiner Lieblingsserie entgegengefiebert habe. Die letzte Folge hat so spannend geendet und ich wollte unbedingt wissen wie es weiter geht. Aber leider musste ich eine ganze Woche warten. Das habe ich gerne und voller Vorfreude gemacht. Und wie bei einer Verabredung mit einem guten Freund saß ich pünktlich zu Beginn der nächsten Folge auf der Couch und habe mit meinen Serienhelden mitgefiebert. Heute schaue ich Serien oder Filme fast ausschließlich per Stream. Wenn die Folge zu Ende ist, starte ich die nächste, um schnell zu sehen, wie es weiter geht. Warten muss ich nicht mehr. So ein Glück.

Ist nicht mehr warten müssen wirklich ein Glück?

Mein Beispiel mit der Fernsehserie ist nur eines von vielen, die mir in den Kopf kommen. Auch wenn ich von einem interessanten Buch höre, ist das Buch für mich auf meinem Telefon von überall nur 2 Klicks entfernt. Zack, schon bestellt. Und am nächsten Tag wird es direkt in meinen Briefkasten geliefert. In Großstädten wie Berlin oder Hamburg ist die sogenannte Same-Time-Delivery nicht mehr weit entfernt. Da ist das Buch schon am Nachmittag bei mir.

Dein Kreditinstitut – der freundliche Totengräber des Wartens

Bei größeren Investitionen wie einem neuen Fernseher, einem Handy oder anderen größeren Anschaffung helfen Kreditinstitute. Mit Slogans wie „Jetzt Konto auftanken“ oder „Kredit in drei Minuten“ werben Banken dafür, dass niemand auf eine Anschaffung warten muss. Das Geld kannst du dir schnell beschaffen und bezahlt wird später. Hersteller von Luxusgütern oder langlebigen Konsumgütern werben mit Ratenzahlung. Für nur 12,20 € im Monat bekommst du jetzt sofort eine Playstation. Wer wartet, ist selber Schuld.

Ist Warten altmodisch?

Ich bin eher konservativ erzogen und habe einiges bis heute beibehalten. Ratenzahlung für kleinere Anschaffungen ist für mich keine echte Option. Entweder ich habe das Geld angespart oder ich brauche den Gegenstand nicht wirklich. Das soll nicht despektierlich klingen gegenüber Menschen, für die die Ratenzahlung die einzige Möglichkeit ist, ihre defekte Waschmaschine durch eine Neue zu ersetzen. Mir geht es um die innere Einstellung dahinter. Ich meine meine eigene Erwartungshaltung, alles mehr oder weniger sofort zu bekommen. Davon nehme ich mich nicht aus. Ich schaue meine Serien auch im Stream oder auf der DVD und warte nicht mehr geduldig eine Woche auf meine Serienhelden. Auch die Freuden des Online Shoppings nutze ich.

Advent – hatte das nicht auch etwas mit Warten zu tun?

Im Advent ist mir das Thema Warten noch einmal stärker bewusst geworden. Kurz vor Weihnachten ist mir aufgefallen, dass in vielen Fenstern schon am 3. Advent oder früher der Weihnachtsbaum beleuchtet und geschmückt im Zimmer steht. Als Begründung höre ich z. B. „dann haben wir länger etwas davon“. Jeder soll es machen, wie er möchte. Es geht nicht um richtig oder falsch. Für mich ist der früher aufgestellte Weihnachtsbaum ein Symptom für eine Gesellschaft, die nicht mehr warten möchte oder nicht mehr warten kann. Wir bewegen uns immer mehr in Richtung einer „Instant-Gesellschaft“: Alles soll möglichst sofort da sein. Warum bis Weihnachten warten, wenn wir es doch sofort haben können.

R.I.P. Vorfreude

Etwas sehr Wichtiges geht dabei aber verloren: die Vorfreude. Wenn ich den Mangel, dass ich etwas nicht habe, nicht mehr spüre, dann stirbt in dem Moment die Vorfreude. Ich weiß, dass ab dem 24. Dezember unser Weihnachtsbaum geschmückt im Zimmer steht und uns bis mindestens 06. Januar Freude macht. Darauf freue ich mich im Advent. Das Warten verändert meine Sicht darauf. Es ist etwas Wertvolles. Wertschätzung zu spüren, für das, auf das ich gewartet habe, fällt mir leicht.

Inspiriert zu dem Thema hat mich die Vorfreude meines Mannes. Als Hobbyfotograf hat er sich im Oktober für eine neue Kamera entschieden. Mit der Entscheidung für die neue Kamera ging für ihn die Entscheidung gegen seine bisherige Fotoausrüstung einher. Er trennte sich nicht nur von der alten Kamera, sondern auch von zahlreichen Objektiven und Zubehör. Das war ein großer Schritt für ihn, da eine Menge Erinnerungen damit verbunden sind. Die neue Kamera hatte eine Lieferzeit von mehreren Wochen. Die Aufregung über die Entscheidung und die Vorfreude auf die neue Kamera begleitete ihn in dieser Zeit. Ihn und seine Begeisterung schon vorher zu erleben, hat mir sehr viel Freude bereitet.

Vorfreude und Wertschätzung gehen Hand-in-Hand

Lasse ich mich von den zahllosen Angeboten für Kleinkredite oder Sofort-Finanzierung verlocken, nehme ich mir noch mehr weg als die Vorfreude. Das Gefühl, auf etwas hingearbeitet zu haben, etwas hinzugeben für das Neue. Bei meinem Mann waren es seine Objektive und die alte Kamera. Das Aufgeben des Alten fiel ihm schwer, hat ihm aber auch gezeigt wie wertvoll ihm das Neue ist. Auch monatliches Sparen oder Sparen von Geldgeschenken auf ein größeres Geschenk nähren Vorfreude und lassen mich Hingabe und Wertschätzung erleben.

Auch wenn ich bei Serien den Weg zurück zum Warten wohl nicht mehr gehe – ich selber habe es in der Hand, ob ich zwischendurch das Warten wähle und mich damit für die Hingabe, Wertschätzung und Vorfreude entscheide.

 

Wie siehst du das Thema Warten? Ich freue mich auf deine Rückmeldung.

 

Bildnachweis für diesen Beitrag: Taschenuhr, Uhrzeit, Sand © annca (pixabay CC-0)

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