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Darf ich glücklich sein?

Ein weißer Krokus blüht umgeben von länglichen grünen Blättern mit Tautropfen.
Lesezeit: 2 Minuten

Es ist

Es ist Krieg. Wenn ich Nachrichten schaue oder soziale Medien öffne, werde ich mit der Situation der Menschen in der Ukraine und auf der Flucht konfrontiert. Ich sehe Gewalt, Leid, Mut und Verzweiflung. Und ich sehe Menschen, die sich in einer Lebenslage befinden, die sich keiner ausgesucht hat und die sich keiner vor drei Wochen so hätte vorstellen können.

Das Leid und der Verlust der Menschen berührt mich tief. In den letzten zwei Wochen habe ich immer wieder geweint und war verzweifelt, warum die Welt auf einmal so ist und nicht anders.

Darf ich?

Und dann gab es doch auch andere Momente. Endlich gehe ich wieder morgens joggen. Die Sonne scheint und ich stehe am See, das Gesicht der Sonne zugewandt und genieße diesen Moment. Ich lese etwas Lustiges und ich schmunzle oder lache. Auf ein Treffen mit meinen Schwestern freue mich und habe gute Laune, als ich ins Auto steige. Aber darf ich das?

Darf ich lachen? Darf ich gute Laune haben? Darf ich momentan glücklich sein?

Ich wollte nicht dürfen

Ähnliche Fragen habe ich mir gestellt, als mein Vater letztes Jahr gestorben ist. Eine Zeit – gerade als er im Sterben lag – war ich emotional so involviert, dass diese Fragen keine Relevanz hatten. Ich war fokussiert auf die Situation und steckte tief in meiner Betroffenheit und Trauer. Doch einige Wochen nach seinem Tod lichtete sich die dunkle Wolke, die über meinem Leben lag.

Aber wie konnte das sein? Mein Vater war tot. Nie wieder würde ich mit ihm sprechen können. Nie wieder würde er mir etwas aus seinem Leben erzählen können. Ich wollte keine gute Laune haben. Ich durfte keine gute Laune haben. Wie könnte ich lachen oder glücklich sein, während ich im Inneren doch so verzweifelt und traurig war?

Es geht gleichzeitig

Ich durfte lernen und erkennen: Ich kann gleichzeitig traurig sein und gute Laune haben. Der Schmerz blieb, dass mein Vater nicht mehr Teil meines Lebens ist, aber die gute Laune und das Lachen konnten wieder kommen. Diese Trauer ist auch jetzt, ein halbes Jahr später, noch in meinem Herzen. Sie wird auf eine Art auch immer Teil meines Lebens bleiben. Aber die Lebendigkeit, das Lachen und die Freude sind ebenso Teil meines Lebens. Dies mir selber nicht mehr zu erlauben, wäre eine Verleugnung des Lebens, wie es gelebt werden möchte.

Die Menschen in der Ukraine verteidigen gerade genau das: Ihre Freiheit, ihr Leben so zu leben, wie sie es möchten. Sie verteidigen ihre Lebensart in Freiheit, die niemandem vorschreibt, was er oder sie sagen darf, worüber gelacht werden darf und wen man lieben darf.

Und genau das möchte ich ehren, indem ich zulasse, dass beides gleichzeitig sein kann: Ich kann traurig sein und Mitgefühl mit den Menschen in der Ukraine und auf der Flucht haben, und zugleich kann ich glücklich sein, dass die Sonne mein Gesicht wärmt und ich Menschen treffe, die ich lange nicht gesehen habe.

Das Leben braucht Tiefe

Aber ich möchte nicht abstumpfen und nur noch auf mein Glück und mein Leben schauen. Ich möchte Anteil nehmen, ich möchte spüren, dass gerade schreckliche Dinge geschehen. Ich will mich nicht abschotten von der Realität. Denn Leid und Schmerz gehören ebenso zum Leben, wie Liebe und Lachen.

Das Leben braucht Tiefe. Habe keine Angst davor. Aber verliere dich nicht darin. Ebenso braucht das Leben Leichtigkeit und Freude. Und wenn es momentan für dich vielleicht schwer ist, das auszubalancieren, dann gib dir die Erlaubnis, glücklich zu sein. Aber schneide nicht dein Mitgefühl ab.

Das Helle und das Dunkle, machen einen ganzen Menschen aus. Wage es, beides zu leben.

 

Bildnachweis für diesen Beitrag: Natur, Krokus, Pflanze @ shapkasushami (pixabay CC-0)

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