Kleine Worte
Wie oft hast du schon “ja” gesagt, obwohl du eigentlich “nein” meintest? Und wie oft hast du “nein” gesagt, obwohl du im Inneren dein “Ja” gespürt hast?
Ja und Nein sind so kurze und scheinbar klare Worte. Und dennoch liegt in ihnen oft eine Schwere.
Ja sagen und nein meinen
Vielleicht kennst du die Situation: Jemand bittet dich um etwas, und bevor du auch nur überlegt hast, ob du Zeit oder Lust hast, sagst du schon ja. Damit meine ich nicht den Anruf der besten Freundin, die nach einem riesigen Krach spontan bei dir übernachten möchte, weil sie sonst nicht weiß, wohin sie gehen könnte. Ich meine die kleinen oder großen Gefälligkeiten oder Erwartungen, mit denen Menschen auf dich zukommen, weil sie selber keine Lust haben, weil sie sich nicht rechtzeitig gekümmert haben oder weil sie sich einfach darauf verlassen, dass du es schon richten wirst.
Es geht auch umgekehrt
Eigentlich möchtest du ja sagen, aber du sagst nein. Vielleicht sagst du zum letzten Stück Kuchen aus Höflichkeit nein. Oder dir fehlt der Mut, deine Angst ist zu groß, um zu etwas Neuem ja zu sagen. Und so sagst du nein zur Veränderung oder einer neuen Möglichkeit, um im vermeintlich sicheren Rahmen des Bekannten zu bleiben.
Warum passiert das so? Was ist geschehen?
Die eigenen Bedürfnisse aus dem Blick
Kinder kommen mit einem sehr klaren Willen auf die Welt. Sobald sie in der Lage sind, ihrem Willen Ausdruck zu geben, auch Trotzphase genannt, sind Kinder sich noch sehr bewusst darüber, was sie wollen und was sie nicht wollen. Sie kennen ihre Bedürfnisse sehr genau und artikulieren sie auch. Ihr Ja und ihr Nein ist sehr klar und wird nachdrücklich zum Ausdruck gebracht.
Damit haben sie uns zwei Aspekte voraus:
- Sie kennen und spüren ihre Bedürfnisse. Ich weiß oft nicht genau, was mir gerade fehlt, was ich in einem Moment der Verärgerung bräuchte. Ist es Zuwendung? Das Gefühl dazuzugehören? Der Wunsch nach Autonomie? Bin ich vielleicht müde oder hungrig und bin deswegen gereizt?
- Kleine Kinder können ihre Bedürfnisse vielleicht nicht konkret artikulieren, scheuen sich aber nicht, die Erfüllung dessen einzufordern. Wenn sie etwas nicht möchten, sagen sie klar “nein”. Und wenn sie etwas möchten sagen sie “ja”, ohne zu zögern oder zu überlegen, ob es ihnen gerade “zusteht”.
Ein liebes Kind
Wo kommt es her, dass wir ja sagen, wenn wir nein meinen oder nein, wenn wir ein Ja spüren? Wir haben gelernt, unsere Bedürfnisse hinten anzustellen. Diesen Umgang mit den eigenen Bedürfnissen und Wünschen lernen viele Kinder in ihren Familien. In gewissem Grad ist es auch notwendig, um zu einem sozialen Miteinander fähig zu sein. Häufig haben wir als Kinder jedoch verlernt, auf unsere eigenen Bedürfnisse zu schauen. Das Einordnen in den Familienalltag oder die Ordnung in der Schule verstärkt es oft noch, sodass aus diesen Kindern angepasste Erwachsene werden, die es möglichst allen recht machen wollen. Die Kompetenz, eigene Wünsche oder Bedürfnisse zu artikulieren, ist verkümmert.
Das größte Nein
Mein oft unfreiwilliges Ja und Nein umgibt mich nicht nur in Entscheidungen. Ich erlebe immer wieder Phasen, in denen mich ein großes Nein begleitet. Das sind die Momente, in denen ich dagegen kämpfe, was gerade ist. Meine Gedanken kreisen darum, dass es anders sein sollte. Ich falle ins Jammern, wie ungerecht die Welt sei. Ich sage in diesen Situationen nein zu meinem Leben. Denn das, was gerade ist, ist mein Leben. Durch meinen Kampf gegen das, was ist, lebe ich im Nein zu diesem Moment oder zu diesem Tag.
Wenn du ganz ehrlich zu dir bist: wie oft sagst du nein zu deinem Leben? Wie oft kämpfst du dagegen an, was gerade ist, möchtest den jetzigen Moment nicht erleben, sondern lieber den nächsten oder übernächsten.
Kontakt mit dir selber
Wie komme ich nun aus dem Dilemma meines Jas und Neins heraus? Für mich geschieht es über den Kontakt mit mir selber. Ich brauche Zeiten der Stille, damit eine innere Klarheit entstehen kann. Was will ich eigentlich? Welche Bedürfnisse habe ich? Was ist mir wichtig?
Mich mit dem zu beschäftigen, was mir wertvoll ist, meinen eigenen Werten, bringt mich näher in Kontakt mit mir. Es gibt für mich Leitplanken, dessen was mir in meinem Leben wichtig ist. Mir darüber bewusst zu sein, schärft die Wahrnehmung meiner inneren Stimme.
Dein Ja ist immer auch ein Nein
Mach dir bewusst: Ja und Nein sind zwei Seiten derselben Medaille. In dem Moment, in dem du es anderen recht machen möchtest und ja sagst, ist dieses Ja gleichzeitig ein Nein zu dir selber. Du stellst die Bedürfnisse einer anderen Person über deine eigenen. Es gibt sicher viele Momente und Gründe, in denen das stimmig ist. Und es gibt auch viele Situationen, in denen du dich selber damit aus dem Blick verlierst.
Ebenso kann ein Nein im außen das erste Ja zu dir selber nach einer langen Zeit sein. Ein Nein zu jemand anderem wird zu einem Ja zu dir und deinen Bedürfnissen sein. Für diesen Moment ist deine Achtsamkeit auf dich gerichtet und auf das, was dir guttut.
Dein Leben – dein Ja?
Für mein Leben habe ich entschieden, dass ich ihm mit einem großen inneren Ja begegnen möchte. Das lebe ich anspruchslos. Wenn es gelingt, genieße ich es. Und wenn es schwierig ist, dann weiß ich, mein Ja wird wieder kommen. Mit der Erkenntnis, dass ich gerade im Nein hänge gegen das, was ist, kommt oft schon eine erste Erleichterung. Und mein Ja zu dem, was gerade ist, rückt näher.
Ich lade dich ein, deinem Leben dein Ja zu schenken. Jeden Tag. Zum Beispiel mit einer einfachen Übung am Morgen. Ich stehe am Fenster, schließe meine Augen, lege meine Hand an mein Herz und sage im inneren mehrmals zu mir selber “dieser Tag erfüllt mein Leben”. Ich liebe diese Übung, da sie keinen Anspruch an den Tag stellt. Dieser Tag, egal wie es sein wird, erfüllt mein Leben. Denn dieser Tag ist mein Leben. Alles was ich habe ist immer dieser Moment.
Dein Ja zu diesem Tag ist dein Ja für dein Leben.
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