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Die Herausforderung der Veränderung – wie aus einem Nein ein Ja werden kann

Pusteblumen stehen als Bild für Veränderung.
Lesezeit: 5 Minuten

Du hast dich gar nicht verändert

Freue ich mich darüber, wenn ich diesen Satz von jemanden höre, den ich lange Zeit nicht gesehen habe? Oder ärgere ich mich, dass jemand nicht sieht oder nicht sehen will, dass ich mich verändert habe?

Ich vermute, dieser Satz soll als Kompliment gemeint sein. Wenn ich für einen Moment die Äußerlichkeit in den Mittelpunkt stelle, kann ich die positive Absicht dahinter erkennen: „Du siehst noch so aus, wie ich dich in Erinnerung habe.“ könnte der Satz meinen.

Äußerliches

Aber eine von vielen Erkenntnissen beim älter werden ist für mich, dass Äußerlichkeiten viel weniger wichtig sind, als ich früher dachte. Mit der entsprechenden Chemie auf meinem Kopf habe ich eine ähnliche Haarfarbe wie früher. Auch die Art zu sprechen oder typischen Gesten mögen noch an mich von vor 20 Jahren erinnern. Vielleicht erscheinen auch grundlegende Wesenszüge noch oder sind so wie vor Jahrzehnten. Dass ich mich jedoch nicht verändert haben soll, kann nicht sein. Daher befremdet mich der Satz eher.

Herr K.

Vielleicht erinnerst du dich aus dem Deutschunterricht an die Geschichten vom Herrn Keuner von Bertold Brecht. Es gibt eine dieser nur wenige Sätze enthaltenen Geschichten genau dazu, die ich früher in der Schule nicht verstanden habe. Sie heißt: Das Wiedersehen. „Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: ‚Sie haben sich gar nicht verändert.‘ ‚Oh!‘ sagte Herr K. und erbleichte.“

Dieselbe und doch eine andere

Ich spüre die Anne von vor 30 Jahren noch in mir. Ich erinnere mich, was ich gemacht habe, was mich bewegt hat, wovon ich geträumt habe. In meiner Erinnerung war ich zu der Zeit sehr glücklich. Ich hatte einen festen Freund, hatte einen großen Freundeskreis, habe mich in der Pfarrgemeinde in der Jugendarbeit engagiert und die Schule fiel mir leicht. Käme heute eine gute Fee und ich hätte den Wunsch frei, 30 Jahre zurückzuspringen, so würde ich es dennoch nicht wollen. Wenn ich meine Erfahrungen, meine Erkenntnisse und meine Entscheidungen nicht mitnehmen kann, möchte ich nicht noch einmal 16 Jahre alt sein.

Denn ich bin heute ein anderer Mensch als damals. Und irgendwie bin ich noch die Gleiche. Es geht beides gleichzeitig. Meine Erfahrungen und Entscheidungen haben mich geprägt. Ich habe Wege in meinem Leben gewählt, die ich mit dem Wissen von heute nicht mehr wählen würde. Hätte ich sie damals so nicht gewählt, würde ich heute an einer anderen Stelle in meinem Leben stehen. Es gibt Entscheidungen, von denen ich mir auch heute noch wünsche, ich hätte sie anders getroffen. Und gleichzeitig bin ich im Reinen damit, wie mein Leben verlaufen ist und wo ich heute stehe.

Abitur-Nachtreffen

Vor zwei Jahren hatten wir ein Treffen zum 25-jährigen Abitur Jubiläum. Ich habe viele Menschen von damals nicht sofort wiedererkannt. Sie hatten sich verändert. Zum einen waren alle 25 Jahre älter, hatten andere Frisuren, Haarfarben, Brillen, mehr oder weniger Gewicht und mehr oder weniger Haare. Doch auch das Verhalten war ein anderes. Ein früherer Klassenkamerad, den ich als sehr still und eher bewusst unauffällig in Erinnerung hatte, erzählte lebhaft von seinem Job in Irland und seinen drei Kindern. Andere, die früher oft mit Mittelpunkt standen, wirkten stiller und nachdenklicher.

Es steht mir nicht zu, eine Bewertung vorzunehmen, ob er oder sie sich verändert hat oder nicht. Denn nur wenige Klassenkameraden kannte ich wirklich gut, war eng mit ihnen befreundet. Nicht jeder Mensch zeigt stets alle Facetten seiner Persönlichkeit. Vielleicht habe ich die nachdenkliche Art des früheren Klassenclowns einfach nicht erlebt?

Veränderung herbeiführen

In der Dalmanuta Arbeit geht es oft um Veränderung. Menschen nehmen an Seminaren und vielleicht auch Meditationsabenden teil, weil sie an einem Punkt stehen, an dem sich in ihrem Leben etwas verändern soll. Ich selber habe durch die drei Reiki Seminare bei Peter Michael Diekmann und auf anderen Wegen der Persönlichkeitsarbeit wieder zu mir gefunden. Heute bin ich dem Menschen, der ich im Inneren wirklich bin, viel näher als vielleicht mit Anfang 20. Ich habe mich in den Augen Außenstehender also verändert. Bin ich der gleiche Mensch? Ja! Erleben Menschen mich dennoch verändert? Auch auf diese Frage antworte ich mit einem Ja. Denn beides trifft zu. Ich bin die Gleiche und doch habe ich mich verändert. Und ich bin sehr froh, dass ich heute weniger im Kopf bin, dass ich mutiger neue Wege gehe, dass ich mehr auf mein Herz höre.

Der schwere Weg der Veränderung

Diese Veränderungen waren oft schwer, waren mit vielen Tränen verbunden und haben Erkenntnisse und aktive Schritte auf neuen Wegen gebraucht. Heute schaue ich stolz darauf, dass ich nicht mehr agiere und reagiere wie früher. Und ich weiß, dass dieser Weg der Veränderung weiter gehen wird. Es gibt keinen Punkt, an dem ich sage „Jetzt bin ich angekommen. Von hier an bleibt es so.“ Veränderung ist Teil des Lebens. Diese aktiv und bewusst zu gestalten ist vielleicht eine der größten Veränderungen. Ich fühle mich den Veränderungen nicht mehr ausgeliefert, sondern führe sie immer öfter selber herbei. Zumindest gelingt es mir zunehmend Veränderungen schneller anzunehmen.

Veränderung anderer

Das, was ich bei mir an Veränderung erkämpfe und genieße, weil mein Leben sich für mich verbessert, fällt mir bei anderen nicht immer leicht zu akzeptieren. Mit Freund:innen habe ich mehrfach erlebt, dass wir uns auseinander entwickelt haben. Interessen verändern sich, das Leben verläuft in anderen Bahnen, die Lebensphasen passen nicht mehr zueinander. Manchmal trauere ich über den Verlust der Verbundenheit und manchmal spüre ich, dass die Zeit gekommen ist, dass die Wege sich trennen.

Mein Leben lang

Wirklich schwer ist für mich, die Veränderung  von Menschen anzunehmen, die mich schon mein Leben lang begleiten. Mein Vater ist in einer der letzten Phasen seines Lebens angekommen. Und gegen diese Veränderung habe ich in den letzten Monaten gesperrt und damit gehadert. Es tut mir weh, meinen starken Papa weinen zu sehen. Er hadert selber damit nur noch so wenig selbstbestimmt handeln zu können. Der Körper will nicht mehr so, wie er es sich wünschen würde. Das mitzuerleben verändert mein Bild, das ich von meinem Vater hatte. Er war für mich stets stark und stand mitten im Leben. Seine Veränderung anzunehmen ist eine so große Herausforderung für mich.

Auch die Veränderung seiner Wahrnehmung der ihn umgebenden Welt, ist für mich schwer. Als wir nach mehreren Monaten die Diagnose Demenz hatten, hatte mein Kopf eine Erklärung. Doch das Herz war weiterhin schwer. Nein, das darf nicht sein. Warum musste ausgerechnet mein Vater auf den letzten Etappen seines Weges dies erleben?

Vom Hader …

Warum? Diese Frage führt nur in den Hader und ich drehe mich endlos im Kreis. Inzwischen ist es mir gelungen aus dem Karussell des „warum er?“ und „warum ist die Welt so ungerecht?“ auszusteigen. Die Akzeptanz konnte nach und nach Einzug halten.

Auf der einen Seite hat die Diagnose vielleicht geholfen. Wichtiger war aber wahrscheinlich, dass es mir gelungen ist, das Bild, das ich von meinem Vater habe, als einziges Bild von ihm loszulassen. Ich habe mein Bild von früher damit verglichen, wie er heute ist. Und diesem Bild kann er mit 85 Jahren einfach nicht mehr gerecht werden. Ich habe mich geweigert anzuerkennen, dass auch er sich einfach nur verändert hat. Er ist derselbe Mann, nun auf einer anderen Etappe seines Lebensweges. So wie ich mich im Laufe meines Lebens verändert habe, hat auch mein Vater sich verändert. Diese Veränderung hat er sich so nicht gewünscht. Dennoch ist es nun so. Und er ist noch immer mein Papa.

… zur Dankbarkeit

Ich wünsche mir, dass Menschen mich auf meinem Lebensweg weiter begleiten, auch wenn ich mich verändere. Inzwischen sehe ich es als Privileg, dass ich meinen Vater dabei begleiten darf, wie er alt wird. Ich bin dankbar, dass mein Vater noch lebt und dass ich Zeit mit ihm verbringen kann. Auch wenn diese Zeit nun anders ist, als es früher war.

In der Phase der Akzeptanz kam mir eine Erinnerung. Vor mehr als 15 Jahren ist der Vater eines Arbeitskollegen mit Anfang 60 ganz plötzlich beim Joggen gestorben. Es war ein großer Schock für ihn. Mein Arbeitskollege war wahrscheinlich zu dem Zeitpunkt Anfang 30. Verglichen mit dem heutigen Alter meines Vaters hat mein Kollege mehr als 20 Jahre mit seinem Vater nicht mehr erleben können. Und ich darf das erleben!

Mein Vater kennt meinen Mann, er hat meine Hochzeit erlebt, er kennt das Haus, das wir gebaut haben. Das kann mein ehemaliger Arbeitskollege alles nicht sagen. Ja, er behält seinen Vater stets kraftvoll und mitten im Leben stehend in Erinnerung, da er ihn nie als alten Mann erlebt hat. Aber er hat so vieles nicht mit ihm teilen können. So viele Jahre ist er schon nicht mehr Teil seines Lebens. Mit dieser Erkenntnis kam die große Dankbarkeit. Ich bin so dankbar, dass mein Vater viele wichtige Meilensteine meines Lebens miterlebt hat. Ich bin dankbar, dass er noch immer Teil meines Lebens ist und dass ich ab und zu für ihn da sein kann und ihn da unterstützen kann, wo er momentan auf seinem Lebensweg steht.

Der Blick der Dankbarkeit

Veränderung ist der Wesenskern des Lebens. Und sie ist immer wieder eine Herausforderung. Es ist immer wieder schwer Altes loszulassen und Neues anzunehmen. Ich erlebe das bei Veränderungen im Innen und auch, wenn sich etwas im im Außen verändert, was ich mir so nicht gewünscht habe. Ich kann mir 100 Mal sagen, dass das Leben selber Veränderung ist und nur aus der Veränderung entstehen kann, mein Herz möchte dennoch oft erst einmal festhalten und hadert mit der Situation.

Nach Monaten der Sorge und des Haderns erkenne ich wieder einmal, dass die Dankbarkeit eine mächtige Wandlerin ist. Aus der Traurigkeit, dass es nie wieder so werden wird, wie es einmal war, entwickelt sich Dankbarkeit, dass ich diese wundervollen Erinnerungen habe und heute noch neue Erinnerungen für morgen entstehen können.

Wenn du momentan mit einer Veränderung haderst, kann ein bewusster Blick der Dankbarkeit helfen. Aus dem Hadern mit der Situation, einem Nein zu dem, was ist oder werden will, kann so ein Ja werden.

 

Bildnachweis für diesen Beitrag: Pusteblumen, Löwenzahn, Veränderung © Finanztante (pixabay CC-0)

2 Kommentare

  1. Beatrix Schleimer

    Alles, was du heute geschrieben hast, kommt mir so sehr bekannt vor. Auch ich habe mich sehr verändert und bin unendlich stolz darauf, weil ich annehmen kann, daß das was früher bei mir gelaufen ist, ein Teil von mir ist und bleibt. Ich akzeptiere es und es gehört zu mir. Dankbarkeit war immer ein Geschenk für mich, denn ohne sie wäre ich verloren gewesen. Wer sich an kleinen einfachen Dingen erfreuen kann, wird immer wieder das Licht sehen und alles mit liebenden Augen betrachten. Danke dir für deine Worte, sie helfen mir immer ein Stück weiter in „meiner“ Entwicklung. Schön, daß es dich gibt!

    • Anne Poger

      Danke, liebe Beatrix. Ich freue mich stets, dich hier zu lesen. Und noch mehr freue ich mich, wenn meine Texte dich berühren. Wie wunderbar, dass du dich in meinen Worten wiedergefunden hast. Danke für deine wunderbaren Worte hier. Diese haben mich sehr berührt. Danke für deine Zeit, hier einige Worte zu hinterlassen. Alles Liebe Anne

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