Alte Freunde
Selbstzweifel kennen viele Menschen. Auch ich kenne sie sehr gut. Ich hinterfrage, ob ich richtig entschieden habe. Zweifle und hadere, wo ich momentan stehe und dass es doch hätte anders laufen können. Ich hätte anders handeln können, ich hätte anders reagieren können, ich müsste jetzt woanders stehen. Diese Zweifel flackern immer wieder mal auf. Sie schauen vorbei wie alte Freunde.
Dunkler Tag
Wenn diese Selbstzweifel kommen, hauen sie mich heute zum Glück nicht mehr um. Sie sind eher wie ein dunkler Tag oder eine Phase wie in einem Loch. Doch das Loch ist nicht mehr so tief.
Früher waren Selbstzweifel jedoch mein täglicher Begleiter. Bei allem, was nicht sofort glattlief, habe ich den Fehler bei mir gesucht. Egal, was schiefging, habe ich das Problem immer bei mir gesehen. Um es milde auszudrücken: Mein Selbstwertgefühl war nicht sehr stark.
Heilende Worte
Mir ist der Mangel das erste Mal Bewusst geworden, als ein früherer Freund zu mir sagte: „Du bist doch auch wertvoll.“ So etwas hatte noch nie jemand gesagt. Ich war sprachlos. Und der Satz machte etwas mit mir. Ich glaube, in dem Moment fing etwas an zu heilen, von dem ich gar nicht wusste, dass es Heilung brauchte.
Fühlen, nicht denken
Was ist Selbstwertgefühl eigentlich? Für mich liegt die Bedeutung ganz nah an der wortwörtlichen Bedeutung. Es ist das Gefühl um meinen eigenen Wert. Irgendwie fühlt es sich komisch an, darüber nachzudenken. Und das ist auch klar: denn Selbstwert kann ich nicht denken, ich kann ihn nur fühlen. Es ist für mich auf der einen Seite etwas sehr Abstraktes, das ich nicht greifen kann. Anders als Liebe oder Freude gelingt es mir nicht, es durch eine Erinnerung wachzurufen. Und gleichzeitig weiß ich, dass ich es schon gefühlt haben.
Der Weg
Der Weg zum eigenen Wert ist für viele Menschen schwer. Wahrscheinlich gibt es auch viele Menschen, die ihn immer gespürt haben, ihren eigenen Wert. Aber so geht es eben nicht allen. Und manche Menschen sind ein Leben lang auf der Suche und müssen erst 60 Jahre oder älter werden, um festzustellen: Ich bin gut, so wie ich bin.
Bei mir kam die Erkenntnis zum Glück etwas früher. Inzwischen weiß ich: Ich brauche nicht zu einem besseren Menschen zu werden. Ja, ich mache Fehler. Ich verletzte Menschen, ohne das zu wollen. Ich bin nicht immer so achtsam oder aufmerksam für andere, wie ich es gerne wäre. Aber ich bin gut, so wie ich bin. Ich bin wertvoll, so wie ich bin. Alles, was mich ausmacht, ist in Ordnung. Da braucht nichts optimiert werden.
Entdecken
Ich darf immer wieder entdecken, dass ich es wert bin, geliebt zu werden. Ich darf immer wieder fühlen, dass es mir zusteht, glücklich zu sein. Auch wenn …
- anderen Menschen Schlimmes geschieht,
- Menschen, die mir wichtig gewesen sind, gestorben sind und
- viel zu viel Leid auf der Welt ist,
darf ich dennoch glücklich sein. Ich muss den Schmerz der Welt nicht immer zu meinem Schmerz machen.
Mein Beitrag
Und doch darf ich alles tun, um diese Welt zu einem besseren Ort zu machen. Und das mache ich nur, wenn ich etwas mehr Freude, etwas mehr Liebe und etwas mehr Zuversicht in diese Welt trage. Das kann ich nicht machen, wenn ich mich nur noch auf mich konzentriere. Dafür muss ich auf andere Menschen zugehen und sie berühren. Und das erstaunliche ist: wenn ich mehr Liebe in die Welt bringe, spüre ich selber mehr Liebe. Wenn ich Freude gebe, erlebe ich selber Freude. Wenn es mir gelingt, jemand anderem Zuversicht zu vermitteln, habe auch ich mehr Zuversicht.
All dies sind die Momente, in denen ich spüre, wie wertvoll mein Leben ist. Nicht, weil ich mache, was ich mache, sondern weil ich bin.
Weißt du, wie wertvoll du bist?
Wobei fühlst du das?
Bildnachweis: Löwenzahn, Moos, wertvoll @ Virvoreanu-Laurentiu (pixabay CC-0)