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Frage nie wieder: “Darf ich …?”

Ein hiduistischer Gelehrter und ein Mann im Anzug sitzen auf der Treppe vor einem Tempel und unterhalten sich auf Augenhöhe. Hier fragt keiner "darf ich...".
Lesezeit: 3 Minuten

Ist doch nur Höflichkeit oder?

Es erscheint wie eine Höflichkeitsfloskel, zu fragen “darf ich dir eine Frage stellen?”. Das ist es auf der einen Seite auch. Auf der anderen Seite enthält das Wort “dürfen” die Bitte, eine Erlaubnis zu erteilen. Sobald du dem Kindes- und vielleicht noch Jugendalter entwachsen bist, ist es meine Überzeugung, dass du niemanden mehr um Erlaubnis fragen brauchst. Um höflich zu sein, ist es nicht notwendig zu fragen, ob du etwas darfst. Es gibt eine Vielzahl von Formulierungen, mit denen du respektvoll und dabei auf Augenhöhe mit anderen kommunizieren kannst.

Auf Augenhöhe

In der Formulierung “darf ich…” steckt das Kind in dir, dass unsicher ist und sich selber etwas nicht erlaubt. Es gibt eine höhere Instanz, an die du dich mit diesem Satz wendest. Du nimmst dich selber in dem Moment nicht auf Augenhöhe wahr, sondern verhältst wie ein Kind, das zu den Eltern aufschaut. Die Rolle der Eltern, die wir für etwas um Erlaubnis bitten, nehmen im Erwachsenenalter oft der Partner, die Chefin oder Autoritäten ein. Ich hatte vor wenigen Tagen genau zu dem Thema eine Diskussion mit meinem Mann. Ich fragte ihn “darf ich dir etwas erzählen?”. Seine Antwort erschien mir im ersten Moment wenig hilfreich und zu harsch. Er verstünde meine Frage nicht. Ich dürfe ihm immer alles erzählen. In der darauf folgenden Diskussion legte er mir seine Sicht dazu dar. Durch meine Frage um Erlaubnis stelle ich ihn für die Situation des Gespräches über mich. Er fühlte sich nicht wohl, die Rolle der höheren Instanz einzunehmen.

Die Sicht der Anderen

In dieser für den Moment mir gegenüber erhöhten Position fühlte mein Mann sich nicht wohl. Er wollte die Rolle des “Erlaubenden” nicht, in die ich ihn mit meiner Frage gedrängt hatte. Durch seine klare Rückmeldung wie unwohl er sich bei dieser Frage fühlt, ist mir bewusst geworden: Durch die Frage um Erlaubnis erniedrige ich mich selber und gleichzeitig erhöhe ich mein Gegenüber für den Moment, egal ob er oder sie das möchte. Aus meiner Sicht war meine Frage “darf ich…” ganz unschuldig und bekam viel zu viel Gewicht im nachfolgenden Gespräch. Aber die Erkenntnis, dass ich die Formulierung nicht nur mir und meiner Selbstwahrnehmung zuliebe verändere, sondern auch der Wahrnehmung und dem Wohlbefinden meines Gegenübers.

Alternative Formulierungen

Es geht nicht darum, sich in jedem Moment die Aufmerksamkeit zu nehmen, die ich mir gerade wünsche. Es geht um die Art der Formulierung.

  • Statt “darf ich dich etwas fragen.” kannst du z. B. sagen: “ich hätte gerne deinen Rat. Passt es für dich gerade?”
  • Statt “darf ich dich kurz stören?” ist eine Alternative: “hast du einen Moment Zeit für mich?”
  • Statt “darf ich dir noch etwas Kaffee eingießen?” passt genauso gut: “möchtest du noch Kaffee?”

So kannst du mit anderen Formulierungen respektvoll und achtsam deinen Wunsch oder deine Frage formulieren und dabei stets auf Augenhöhe bleiben.

Konkrete Veränderung im Alltag

Das klingt alles schön und gut, aber wie verändere ich nun diese Art zu kommunizieren? Wie wir formulieren ist auch eine Angewohnheit. Durch das Gespräch mit meinem Mann und das Schreiben dieses Textes umgehe ich die Automatisierung in meiner Sprache nicht. Der erste wertvolle Schritt ist jedoch getan. Es ist mir bewusst geworden und ich möchte es ändern. Im zweiten Schritt heißt es nun, dass mir auffällt, wenn ich die Formulierung “darf ich…” benutze. Hierzu habe ich eine ganz einfache Übung gemacht. Ich habe noch im Auto nach dem Gespräch mir fest vorgenommen, dass in mir eine Glocke klingelt, wenn ich die Phrase “darf ich…” verwende. Das habe ich laut ausgesprochen. Danach habe ich die Augen geschlossen und mich innerlich zentriert. Dafür richte ich meine Aufmerksamkeit nach innen. Ich achte gezielt auf meinen Atem und verbinde mich mit meinem Körper. Einige Atemzüge reichen. Und nun heißt es im Alltag beim Sprechen auf meine innere Glocke zu achten. Zu Beginn bemerke ich es erst, wenn ich die Formulierung schon ausgesprochen habe. Wenn es mir dann bewusst wird, sage ich “ich möchte das zuletzt gesagte neu formulieren” und dann spreche ich meine Bitte anders, auf Augenhöhe aus. Und mit jedem Mal, dass die innere Glocke klingelt, übe ich und ändere so Schritt für Schritt meine Gewohnheit.

Drei Schritte

Die Sprache ist ein mächtiges Werkzeug im Alltag, mit dem du dein Unterbewusstsein beeinflussen kannst. Mit einem vermeintlich simplen Satz, der mit “darf ich…” beginnt, verhinderst du ein Gespräch auf Augenhöhe. In deiner Sprache liegt eine wunderbare Möglichkeit, dies zu vermeiden. Mit diesen drei Schritten kannst du den Anfang machen:

  1. Sei dir bewusst, dass du Sätze wie “darf ich…” verwendest und entscheide, dass du es ändern möchtest. Durch die aktive Entscheidung investierst du eine deiner stärksten Kräfte: deinen Willen.
  2. Achte auf die Formulierung “darf ich…”, indem du jedes Mal eine innere Glocke läutest, jedes Mal, wenn du einen Satz so beginnst. Dafür sprich laut oder innerlich aus, dass du die Formulierung“darf ich…” nicht mehr verwenden möchtest. Dann halte kurz inne und verbinde dich mit dir selber, z. B. durch Konzentration auf die Atmung.
  3. Formuliere neu, wann immer deine innere Glocke läutet. Habe Geduld, dass es zunächst passiert, nachdem du den Satz ausgesprochen hast. Wähle eine alternative Formulierung und trainiere so die neue Angewohnheit.

Worte und Sprache können viel beeinflussen. Deine eigene Wertschätzung, deine Selbstwahrnehmung und Selbstachtung werden durch deine Sprache beeinflusst. Nutze die Chance, auf Augenhöhe mit jedem zu reden. Respekt zu zeigen, heißt nicht dich zu erniedrigen und den anderen zu erhöhen. Respekt und Achtung liegen in der Wortwahl – auf Augenhöhe.

Wenn du mehr zu diesem Thema lesen möchtest, hier ein Lesetipp von mir:
Im Fluss der Seele. Wie wir den Umgang mit Ärger, Trauer und Freude lernen

 

Wie siehst du dieses Thema? Welche Erfahrungen hast du mit der inneren Glocke gemacht?

 

Bildnachweis für diesen Beitrag: Premierminister, Akshardam, Indien © cinematicclick (pixabay CC-0)

2 Kommentare

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