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Gehe deinen Weg

Lesezeit: 5 Minuten

Der zweite Blick

Jeder hat seinen Weg. Das klingt zunächst banal. Natürlich hat jeder seinen eigenen Weg, niemand kann den Weg des anderen gehen. Wie sieht es aber auf den zweiten Blick aus? Gestehst du dir wirklich zu, dass du deinen Weg gehst? Und erlaubst du auch anderen, dass sie ihren Weg gehen?

Top drei Gründe

Vieles ist im Alltag so eingefahren, dass es mir manchmal nicht auffällt, ob ich noch auf meinem Weg bin. Vielleicht geht es dir ähnlich. Daher habe ich hier meine drei Hauptgründe aufgeschrieben, die mich von meinem Weg abbringen:

1. Vergleichen mit anderen

Schnell ist es passiert, dass ich auf das Leben anderer Menschen schaue und mich frage: Warum ist es bei mir nicht auch so? Ich sehe die Hochglanzbilder des Lebens anderer Menschen und vergleiche das mit meinem Alltag. Wie gerne würde ich dann mit diesen Menschen tauschen. Damit bin ich auf einmal ganz weit weg von mir und meinem Weg. Dabei ist dies oft ein unfairer Vergleich, den ich anstelle. Ich vergleiche das Schwere in meinem Leben mit dem kleinen Ausschnitt, an dem ich im Leben anderer teilhaben darf.

Eine Freundin, die zwei Kinder hat, sagte vor einigen Jahren mal zu mir, dass sie manchmal mit mir tauschen möchte. Die Kinder waren noch recht klein und nahmen viel Raum in ihrem Leben ein. Ich war zu der Zeit Single, hatte Zeit, Sport zu machen, und konnte mein Leben so leben, wie ich wollte. Auch sie verglich das, was gerade schwer war, mit dem, was ihr bei mir so wunderbar und leicht erschien. Als ich sagte, ob sie das ganze Paket möchte, keinen Partner zu haben, alleine zu sein, neben einem fordernden Job kaum Raum für anderes zu haben, wurde ihr das Zerrbild ihres Vergleichs deutlich.

2. Mich einordnen in das, was “normal” ist

Gerade als ich jünger war, war es mir sehr wichtig, dazuzugehören. Auch heute passiert mir das oft, dass ich etwas mache, um nicht aus der Reihe zu tanzen und um akzeptiert zu werden. Wir könnten jetzt sicher trefflich darüber diskutieren, was “normal” ist. In vielerlei Hinsicht ist mein Leben sehr normal, wir wohnen in einem Haus, arbeiten, zahlen Steuern usw. Die Frage für mich ist: mache ich das, was ich mache, weil es meins ist oder weil ich dazugehören möchte?

Als wir am Samstag mit allen Nachbarn gegrillt haben, hätte ich schon um 21:00 Uhr nach Hause gehen können. Wir hatten seit nachmittags gemeinsam die Beete an der Straße sauber gemacht und früh die Grills angeworfen. Als es dann kalt wurde, hat es mich auf die Couch gezogen. Aber ich wollte nicht als Erste früh gehen, da alle noch da waren. Ich bin dann bis 22:30 Uhr geblieben und habe mich die meiste Zeit auch noch gut unterhalten. Auch zu der Uhrzeit war ich noch die Erste, die ins Bett gegangen ist, aber da hat meine Müdigkeit über das dazugehören wollen gesiegt.

3. Mache ich wirklich das, was ich möchte?

Das Leben beschert oft vielfältige Herausforderungen. Leider haben wir keine Kinder, aber ich kann mich hineinversetzen, dass Eltern nicht immer Spaß daran haben, was es zu tun gibt. Sie machen sicher sehr oft Dinge, die sie nicht möchten. Wenn sie den Horizont jedoch erweitern und sich von dem Wechseln einer vollen Windel lösen und auf das große Ganze schauen, werden viele es sicherlich anders einstufen. Sie wollen ein Leben mit Kind(ern) und akzeptieren, dass das Windelwechseln dazu gehört. Also können auch die Dinge, dich ich aus Pflichtgefühl mache, dem entsprechen, was ich wirklich möchte, auch wenn es sich momentan vielleicht einengend anfühlt.

Wie sieht es aber bei so Themen wie der Berufswahl aus? Bei dem Grillen mit unseren Nachbarn war ich perplex, wie viele den gleichen Beruf wie ihre Eltern gewählt haben. Jeder kannte zusätzlich jemandem, bei dem / der es auch so ist. Natürlich kann es sein, dass es auch der Traumberuf war und sie ihn daher gewählt haben. Aber bei mir bleibt die Frage, wie viel Erwartung der Eltern in die Berufswahl eingeflossen ist? Oder ist vielleicht der Wunsch von den Eltern geliebt und akzeptiert zu werden ein möglicher Treiber für eine Entscheidung?

Ich kann für mich heute sagen, dass ich beruflich das mache, was ich möchte. Aber es war ein Weg bis dahin. Auch den vorherigen Job habe ich mir selber ausgesucht. Aber ich habe mir ein ähnlich forderndes Umfeld ausgesucht, in dem vor allem Leistung zählt. Und auch dort habe ich immer geleistet, um Anerkennung und Liebe zu bekommen.

Neben dem beruflichen Feld gibt es viele Lebensbereiche, in denen es von Zeit zu Zeit Sinn macht, sich selber zu hinterfragen:

  • Was möchte ich für mein Leben wirklich?
  • Welche Qualitäten sollen Teil meines Lebens sein?
  • Auf was für ein Leben möchte ich zurückschauen, wenn ich alt bin?

Das sind keine bequemen Fragen, aber wenn du dich diesen Fragen stellst, kann es helfen, Klarheit darüber zu bekommen, was du wirklich willst. Du kommst dem näher, was dein Weg ist.

Der Weg der anderen

Ein zweiter wichtiger Aspekt, der sich aus dem Satz “jeder hat seinen Weg” ergibt, ist: Gestehe ich auch anderen zu, dass sie ihren Weg gehen? Akzeptiere ich die Entscheidungen von Menschen in meinem Umfeld, die sie für ihren Weg treffen? Oder bewerte oder beeinflusse ich Menschen, weil ich es anders machen würde?

Ich war vor einiger Zeit auf einer Hochzeit und die Mutter des Bräutigams war sehr angespannt. Sie war mit vielen Ideen und Vorgehensweisen des Brautpaares nicht einverstanden und rieb sich im Stillen daran. Ich hatte das Gefühl, dass sie die Feier nicht richtig genießen konnte, weil sie damit beschäftigt war, was sie anders gemacht hätte und wie es anders sein könnte.

Gut gemeint

Auch ich denke oft: “Mach es doch so oder so. Sonst wird es nichts.” Mein Mann hat es mit mir manchmal nicht leicht, da ich mich immer wieder mit gut gemeintem Willen einmische. Dabei mag ich es selber überhaupt nicht, wenn mir jemand den freien Willen nimmt, selber zu entscheiden, ob und wie ich etwas mache.

Vielleicht denkst du jetzt gerade: Aber manchmal meint man es doch nur gut und will dem / der anderen nur einen Rat oder Tipp geben. Als Außenstehende/r scheint es leichter zu sein, den optimalen Weg zu erkennen oder die Hindernisse zu identifizieren, die sich derjenige / diejenige selber in den Weg legt. Aber ich nehme dem anderen damit etwas sehr Wichtiges weg: das Auseinandersetzen mit dem eigenen Weg. Selber herauszufinden, was tut mir gut, was möchte ich, wie soll mein Leben sein und sich anfühlen.

Einmischen oder zuhören?

Jemand anderem vorschreiben zu wollen, wie er / sie sich in einer Situation verhalten sollte, hat etwas Übergriffiges. In dem Moment scheinen nur meine Meinung und Sicht der Dinge die richtige zu sein. Das was der / die andere an Ideen und Gedanken hat, werte ich damit ab. Als ich recht frisch die Führung eines kleinen Teams übernommen hatte, bin ich noch oft in diese Falle getappt. Ich wollte unbedingt, dass es wirklich gut wird, und daher galt nur das, wie ich es machen würde. Zum Glück habe ich schnell gelernt, dass es genau so nicht geht. Auch wenn es mir im privaten Umfeld immer wieder passiert, dass ich glaube, nur ich habe den Durchblick und weiß, wie es am besten laufen sollte.

Was ich mit Einmischen nicht meine, sind diese wunderbaren und tiefen Gespräche, in denen ich als Außenstehender anbiete meinen Eindruck zur momentanen Situation zu teilen. Oder die Momente, in denen ich auf empathische und achtsame Art nachfrage, ob es meinem Gegenüber gerade gut geht und was ihm / ihr gerade am meisten fehlt. Hier die Grenze zu ziehen ist sicher im Einzelfall nicht immer einfach, aber ich denke, es ist klar geworden, was ich meine.

Wie komme ich da raus?

Was mache ich nun in einer Situation, in der ich überzeugt bin, ich wüsste, wie es besser wäre? Mir hilft der Satz “jeder hat seinen Weg”. Er öffnet mein Herz für andere Möglichkeiten. Ich erlaube mir aus der vermeintlichen Wettbewerbssituation herauszutreten, in der das beste Vorgehen gefunden werden muss.

Ich habe diesen Satz zum ersten Mal zu Beginn einer neuen Beziehung gesagt. Meine andere Sicht wollte ich nicht ausdiskutieren und mich so früh als Rechthaber outen. Mit meinem eigenen Satz “jeder hat seinen Weg” war mir in dem Moment etwas klar geworden: ich öffnete einen Raum, in dem recht haben keine Rolle spielte. Es war okay, dass wir unterschiedliche Ansichten haben. Ich brauchte nicht recht zu haben, ich brauchte diesen fiktiven Kampf nicht zu gewinnen.

Gehst du deinen Weg?

Ob für dich heute der erste Aspekt, ob du deinen Weg gehst, oder der zweite Aspekt, ob du anderen die Freiheit lässt, ihren Weg zu gehen, im Vordergrund steht, ist egal. Denn beides läuft darauf hinaus: Gehst du deinen Weg? Denn auch die Art, wie du anderen Raum gibst, ist Teil deines Weges. Mit “gehst du deinen Weg” meine ich nicht das, über was du sagst, sondern ich meine, wie du wirklich handelst. Bist du auf deinem Weg unterwegs oder verharrst du in der Komfortzone und sprichst darüber, was du tun möchtest? Stillstand ist der Tod aller Lebendigkeit. Nur wenn du dich wirklich vorwärtsbewegst, kann Veränderung geschehen. Nur in Bewegung kannst du mit dem Fluss des Lebens fließen.

Also gehe weiter oder lauf los und sei offen für Veränderung und für mehr Klarheit, wo es hingehen soll. Gehen ist wichtiger als 100%ig perfekt deinen Weg zu finden.

 

Bildnachweis für diesen Beitrag: Weg, Pfad, Im Freien © FreePhotos (pixabay CC-0)

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