Die Szene vor dem Küchenfenster
Die Idee zu diesem Artikel kam mir letzte Woche an einem sonnigen Nachmittag. Ich hörte die Nachbarskinder draußen spielen und rufen. Als ich aus dem Küchenfenster sah, rannten die Kinder gerade vorbei und spritzen sich mit Wasserpistolen nass. Mein Herz wurde ganz weit und ein Lächeln kam in mein Gesicht. Gefolgt von einer tiefen Traurigkeit. Diese Szene berührte eine dunkle Stelle in meinem Leben.
Warum dunkel?
Mit dunkel meine ich nicht, dass es dort etwas zu verheimlichen gibt. Sondern dunkel ist für mich ein Bild für Traurigkeit. Ich nenne es auch das Loch in meinem Leben. Es gibt etwas, das für immer in meinem Leben fehlen wird. Wir haben keine Kinder. So gerne wären wir eine Familie gewesen. Mutter, Vater und vielleicht zwei Kinder. Als ich jünger war, ich mich sogar mit mindestens drei Kindern gesehen. Ich habe selber fünf Schwestern und deswegen von einer großen Familie geträumt.
Manchmal kommt es anders
Leider können wir keine Kinder bekommen. Es geht vielen Menschen so, dass sie sich Kinder wünschen, es aber nicht klappt. Die Gründe sind unerheblich, auch was wir unternommen haben oder nicht unternommen haben. Kernpunkt für mich ist, dass das Leben bei weitem nicht so planbar ist, wie ich es mir gewünscht hätte. Das ist eine banale Erkenntnis, die nichts Neues ist. Für mich war es dennoch oft und ist auch jetzt noch manchmal ein Punkt, an dem ich mich reibe.
Im Kreis
Warum werden Frauen schwanger, die kein Baby haben möchten, und bei uns klappt es nicht? Werde ich nicht schwanger, weil ich eine schlechte Mutter wäre? Ist es die “Strafe” dafür, dass ich in der Vergangenheit Fehler gemacht habe? Mit diesen und viele weiteren sinnlosen Fragen habe ich mich gequält. Alles drehte sich um “warum wir”? Warum konnte es bei uns nicht “normal” laufen? Auch hier habe ich wieder erlebt: Die Frage nach dem Warum ist eine Sackgasse mit Wendehammer. Und mit jeder neuen Frage drehte ich eine weitere Runde in dem Wendehammer und fand nicht den Weg zurück.
Ich bin kein Opfer
Immer wieder galt es für mich mir klar zu machen: ich bin kein Opfer. Als Opfer bin ich passiv, fühle mich hilflos ausgeliefert, verfalle in eine Starre oder Lethargie, weil kämpfen sich nicht lohnt. So oft habe ich in dieser Rolle verharrt, nicht nur beim Thema Kinderlosigkeit. Die Rolle der Leidenden, der durch die Welt ein Unrecht geschieht, steht mir auch heute noch gut. Mein Mann ist so lieb und erinnert mich in diesen Situationen, wenn ich jammere und mich beschwere “du bist kein Opfer”. Also brauche ich mich auch nicht so zu verhalten.
Der Schmerz bleibt
Die Phase der Warum-wir-Fragen ist zum Glück schon länger vorbei. Manchmal flammt es auf, wenn Kinder mein Herz berühren, und ich spüre, was in unserem Leben fehlt. Das Loch, dass wir uns Kinder gewünscht haben, aber keine bekommen konnten, wird Teil unseres Lebens bleiben. Und damit wird immer auch ein kleiner Schmerz und eine Traurigkeit bei mir sein. Es ist nicht mehr der große verzweifelte Schmerz, aber ein treuer Begleiter, der sich hin und wieder zeigt. Inzwischen kann ich ihn empfangen mit einem inneren “da bist du ja wieder”. Er darf kommen und kurz bleiben.
Die Phasen
Er bleibt auch immer nur kurz. Denn nach der Warum-Phase kam die Wozu-Phase. Dies ist eine sehr verkürzte Darstellung, denn der Weg vom Warum zum Wozu war ein durchaus langer und immer wieder schwerer Weg. Es gibt die sogenannte Kübler-Ross-Kurve der Veränderung. Entwickelt wurde sie von Elisabeth Kübler-Ross im Zusammenarbeit mit sterbenden Menschen.
Leugnen
Die Phasen wurden auf unterschiedliche Situationen übertragen, bei denen ein Ereignis einen Menschen aus dem Gleichgewicht wirft: erst kommt der Schock und die Verleugnung. Das kann doch nicht wahr sein. Da stimmt bestimmt das Ergebnis nicht.
Wut
Nach der Verleugnung kommt die Wut. Bis gerade dachte ich, dass die Phase der Wut bei mir nicht stark ausgeprägt war. Wütend werden und sich wohlmöglich unkontrolliert verhalten war bei uns zuhause verpönt, daher ist die Wut kein so häufiger Gast bei mir. Bei der Recherche für den Artikel habe ich aber gelernt, dass die Warum-Ich-Frage Teil der Wut ist. Also habe ich auch die Wut-Phase aktiv durchlebt.
Verhandlung
Der Wut folgt die Verhandlung. Ich kann mich nicht mehr erinnern, mit was ich das Schicksal bestechen wollte, damit es doch endlich klappt. Aber ich habe es bestimmt versucht.
Depression und Leid
Es ging noch tiefer hinunter. Im Tal der Tränen angekommen umgab mich viel emotionale Dunkelheit. Die Traurigkeit und Verzweiflung schien mich zwischendurch erdrücken zu wollen. Ich habe die Traurigkeit bewusst zugelassen. Um meine nicht geborenen Kinder zu trauern, war sehr wichtig für mich.
Annahme & Akzeptanz
Und aus der gelebten Trauer wurde bei mir die Akzeptanz geboren. Das ist mein Leben. So und nicht anders. Die eigene Trauer und Verzweiflung kennenzulernen, ist Voraussetzung für das Fortschreiten in die Phase der Akzeptanz.
Die Phasen annehmen
Ich kenne diese Phasen aus verschiedenen Momenten in meinem Leben. Das, was Elisabeth Kübler-Ross für eine der schlimmsten Situationen erforscht hat, nämlich mit dem eigenen Tod konfrontiert zu sein, kann auf andere Veränderungen im Leben übertragen werden. Mir hilft das Wissen, welche Phasen es gibt, meine Gefühle leichter anzunehmen. Die Verleugnung gehört genauso wie die Wut und die Trauer dazu. Zu erkennen, in welcher Phase ich gerade hänge, hilft diese anzunehmen.
Vom Warum zum Wozu
Mit der Akzeptanz kommt die Öffnung für Neues. Statt mich weiter um das nicht beantwortbare Warum zu drehen, öffnet die Frage “wozu” den Weg in Richtung “was mache ich jetzt daraus? Wie mache ich weiter?”. Für meinen Mann und mich war sehr früh klar: wir werden ein glückliches Leben führen – auch ohne Kinder. Welche Möglichkeiten haben wir, die Menschen mit Kindern nicht so einfach haben? Und Mut zur Stille ist so eine dieser Möglichkeiten.
Nun du
Hast auch du eine dunkle Stelle in deinem Leben? Gibt es etwas, was dich wahrscheinlich immer begleiten wird? Wie stehst du zu im Moment zu diesem Aspekt in deinem Leben? Welchen Raum nimmt er in deinem Leben ein?
Vielleicht…
Vielleicht ist eine Zeit gekommen, dieser dunklen Stelle auch ein wenig dankbar zu sein. Ich meine die Dankbarkeit dafür, dass ich jetzt dieses Leben führe, genau so wie es ist. Ich mag mein Leben und möchte an keiner anderen Stelle sein. Das ist mein Weg. Diese Dankbarkeit spüre ich nicht immer. Aber jetzt im Moment ist sie da. Und das ist wundervoll.
Bildnachweis für diesen Beitrag: Natur, Wald, Sonne © jplenio (pixabay CC-0)
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Dankeschön du Liebe das hast du sehr gut geschrieben…meine dunkle Stelle war damals die Trennung von meiner ersten großen Liebe, dem Vater meiner Kinder….nach 28 Jahren….dieser unglaubliche Schmerz, all die Phasen…Heute weiß Ich, er wird immer einen besonderen Platz in meinem Herzen behalten und wie wunderbar das ich nach dieser Erkenntnis Arie, meinen Lieblingsholländer lieben und kennengelernt habe. Letzten Sommer haben wir uns nach 21 Jahren getraut noch einmal ja zu sagen. Arie und ich sind absolute Seelenverwandte und unbeschreiblich glücklich und haben gsd ein sehr gutes freundschaftliches Verhältnis zum Vater meiner Kids…empfinde eine große Dankbarkeit
Liebe Ute, vielen lieben Dank für deine Rückmeldung hier und das Teilen deiner dunklen Stelle. Es klingt wundervoll, wie dieses Thema in deinem Leben seinen Platz gefunden hat. Danke für die Inspiration.