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Meditieren hilft nicht immer

Ein kleiner Jung ist hingefallen und steht wieder auf - so wie wir es beim meditieren machen können.
Lesezeit: 3 Minuten

Die Stille mit mir selber

Hier und bei Facebook schreibe ich oft davon, wie hilfreich es für mich ist, in die Stille mit mir selber zu gehen. Damit meine ich vor allem meditieren. Wenn ich “meditieren” schreibe, meine ich ein Innehalten. Ich widme eine gewisse Zeit dem Kontakt mit mir selber oder auch dem Kontakt mit dem jetzigen Moment. Wobei beides untrennbar verbunden ist.

Meditieren muss nicht immer auf einem Meditationskissen mit geschlossenen Augen erfolgen. Auch wenn ich in den Himmel blicke, einen Specht beobachte, wie er an einem Baumstamm Insekten sucht, oder wenn ich innehalte und zuschaue, wie der Wind das Korn auf dem Feld bewegt, kann es sein, dass ich meditiere. Es kommt auf meine innere Ausrichtung, mein Innehalten an.

Innere Einkehr in diesem Sinn ist für mich ein mächtiges Werkzeug, die Gedanken zu verlangsamen und der Stimme meines Herzens zu lauschen.

Absichtslos?

Meditation ist absichtslos. Es gibt nichts zu erreichen, nichts gut oder richtigzumachen, nichts zu schaffen. Es wäre mir und dir gegenüber jedoch nicht ehrlich, wenn ich behauptete, das ich noch nie bewusst meditiert hätte, um doch etwas zu erreichen. Bei mir ist es oft der Wunsch nach innerer Ruhe oder Klarheit. Ich möchte mit der Meditation eine Tür in meinem Inneren öffnen, die mir die Verbindung zu einer größeren Intelligenz ermöglicht, als mein Kopf sie je haben könnte. In der Stille mit mir erlebe ich Momente der Verbundenheit mit dem Universum und allem Leben. In diesen Momenten kann ich die Stimme meines Herzens wahrnehmen.

Abkürzung durch meditieren

Auf einen Impuls von Mut zur Stille bei Facebook schrieb eine Leserin einmal einen Kommentar, dass ihre Probleme blieben, beim einatmen wie beim ausatmen. Ich hatte in dem Post die Anregung gegeben eine Vertrauens-Übung mit einem Mantra beim Ein- und Ausatmen zu machen. Natürlich hatte sie vollkommen recht. Ihre Probleme verändern sich durch das Atmen nicht. Ich vermute, dass sie eine “um … zu …”-Erwartung im Kopf hatte. “Ich wiederhole das Mantra beim Atmen, um keine Probleme mehr zu haben.” Vielleicht hat sie sich erhofft, dass es eine Abkürzung geben könnte, mit der sie die Probleme bewältigen kann. Ein nachvollziehbarer Wunsch und Gedanke. Ich wünsche mir auch oft, dass ich schneller durch Lernaufgaben des Lebens komme, die mich in meiner Lebendigkeit beschweren.

Demut vor dem Leben

Mir ist jetzt – Monate nach dem Post – klar geworden: Auch wenn ich überzeugt bin, dass Meditation eine Tür sein kann, neue Blickwinkel auf mein eigenes Leben zu erlangen, darf ich nie die Demut vor dem Leben verlieren.

Was meine ich damit? Ich bin überzeugt, ich bin in diesem Leben, weil ich hier etwas lernen und intensive Erfahrungen machen will. Vor meiner Geburt habe ich dazu “ja” gesagt. Wie diese Lernerfahrungen zu mir kommen, weiß ich nicht. Sie sind das, was mir im Leben geschieht. Sie sind das Leben.

Ebenso ist es mir ein wichtiges Anliegen, Respekt und Demut vor dem Leben anderer zu haben. Es gibt Themen im Leben, die kann man nicht weg meditieren. Und das möchte ich nicht suggerieren. Menschen erleben Schicksalsschläge wie Krankheit, Trennungen oder den Tod von Menschen oder Tieren, die ihnen wichtig sind. Ebenso wie Probleme sich nicht durch Atmen auflösen, verschwinden auch Schicksalsschläge nicht durch Meditation. Ein geliebter Mensch wird nicht lebendig, auch wenn ich 20 Stunden täglich meditiere.

Sie bleiben

Warum schreibe ich dennoch jede Woche hier bei Mut zur Stille darüber, dass Innehalten, Stille mit mir selber oder bewusstes Ein- und Ausatmen wichtig sind? Probleme oder Schicksalsschläge sind Teil des Lebens, Teil meiner Aufgabe hier in diesem Leben. Ich kann es nicht vermeiden, dass ich sie erlebe. Und sie bleiben egal, ob ich versuche mich abzulenken, sie zu verdrängen oder mich mit essen, trinken oder Drogen zu betäuben versuche. Und sie bleiben auch, wenn ich mich ihnen stelle, meine mit ihnen verbunden Gefühlen der Angst oder Sorge zulasse.

Meditieren verändert den Blickwinkel

Durch bewusstes Zulassen der inneren Schmerzen aus der Situation gebe ich dem Schmerz liebevoll einen Platz im Inneren. Er muss nicht mehr weggehen oder sich unter meiner permanenten Dauerberieselung mit Fernsehen und Hörbüchern verstecken, wird nicht mehr durch Alkohol oder anderes betäubt. Meditieren ist nicht immer angenehm. Aufwühlende Gefühle oder Bilder zeigen sich und möchten wahrgenommen werden. Mein Blickwinkel auf mein Leben kann sich durch Innehalten verändern. Und neue Blickwinkel auf meine Situationen verändern etwas. Sie bereichern meine Möglichkeiten der Wahrnehmung. Durch andere Blickwinkel kann ich Schmerz oder Leid in meinem Leben anders integrieren. Integration ist nichts anderes als dem Leid einen Platz in meinem Inneren zu geben. Ich akzeptiere, dass es ein Teil von mir ist und der Teil bleiben darf.

Es darf sein

Ich brauche mein Leid nicht mehr zu betäuben, zu verdrängen oder jeden Tag immer wieder zu erzählen, wie furchtbar alles ist. Es darf sein. Zwischendurch wird es immer wieder weh tun, aber das Leid beherrscht mich nicht jeden Tag. Ich muss es nicht mehr betäuben oder verdrängen, sondern kann wieder Lebendigkeit erleben.

Nimm dein Leben in den Arm

Meditieren hilft nicht, Leid und Schmerz zu verhindern oder ungeschehen zu machen. Es eine Möglichkeit dem Leid aktiv zu begegnen. Durch Meditation eröffne ich mir die Möglichkeit, das Leben in den Arm zu nehmen. So wie ich ein weinendes Kind, das hingefallen ist, auf den Schoß nehme und ihm Mitgefühl gebe. Sein Schmerz ist echt und Teil des Lebens. Und ebenso ist dein Schmerz Teil deines Lebens. Also setze dich hin und nimm dein Leben in den Arm!

 

Bildnachweis für diesen Beitrag: Schwarz Weiß Straße © paulmaxis (pixabay CC-0)

2 Kommentare

  1. Wolfgang

    Liebe Anna, ich bin gerade im Kurzurlaub und lese ein paar deiner Blogs. Du schreibst aus meiner Sicht so wunderbar und nachvollziehbar. Und das musste ich jetzt gerade loswerden. Toll Anna🤗🤗🤗
    Freue mich auf den nächsten Lehrerausbildungstag mit dir.
    Wolfgang

  2. Pingback:Zeiten der Trauer, Zeiten der Freude - Mut zur Stille

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