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Warten – eine Herausforderung

Autos im Stau vor einem Schneebedeckten Berg sind zu sehen, hier ist Warten angesagt.
Lesezeit: 3 Minuten

Geduld ist eine Tugend – auf die ich schon lange warte

Geduld ist nicht meine große Stärke. An der Supermarktkasse stehe ich – in meiner Wahrnehmung – viel zu oft in der falschen Schlage. Genau bei mir ist die Papierrolle leer oder jemand vor mir hat vergessen seine Tomaten zu wiegen. Die Warterei kann ich manchmal nur ganz schwer ertragen. Das ganz potenziert sich, wenn ich in einer unüberschaubaren Wartesituation stecke, z. B. in einem Stau vor dem Gotthard Tunnel.

Warum Warten so schlimm ist

Für mich ist das Warten aus drei Gründen schwer auszuhalten:

  1. Es fühlt sich wie tote Zeit an. Ich kann die Zeit nicht mit etwas „Sinnvollem“ füllen.
  2. Ich bin fremdbestimmt. In solchen Situationen ist sogar die Illusion, etwas kontrollieren zu können, passé.
  3. Gerade in sehr langen Wartezeiten, z. B. im Stau, kommt dann ein alter Bekannter vorbei: ich ein Opfer dieser ungnädigen Umstände.

Der Wunsch nach Sinnvollem

Das ist er wieder: mein innerer Druck, in jedem Moment etwas Sinnvolles tun zu wollen. Mit Müßiggang habe ich es nicht so. Meine innere Uhr ist stark auf Effizienz eingestellt. Wenn es noch etwas zu erledigen gibt, ist Warten für mich schwer auszuhalten. Was ich alles erledigen könnte? Dahinter verbirgt sich bei mir die alte Angst, nicht zu genügen. Es reicht nicht, was ich mache. Ich muss leisten, um Anerkennung zu bekommen.

Die Illusion zu kontrollieren

In einer Wartesituation offenbart sich einmal mehr: es ist eine Illusion, dass ich in meinem Leben etwas kontrollieren kann. In Situationen, in denen ich nicht ausweichen kann, die ich gerne ändern möchte es aber nicht geht, wird mir meine vermeintliche Ohnmacht greifbar deutlich. Meine große Macht, wie ich mit einer Situation umgehe, wie ich auf die Umstände reagiere, nehme ich in diesen Momenten nicht wahr.

Ich bin das arme Opfer

Die Opferrolle habe ich lange Zeit sehr intensiv gespielt. Warum passiert das ausgerechnet mir? Von der Bequemlichkeit dieses Denkens habe ich mich eigentlich befreit. In Wartesituationen kommt der Gedanke dennoch gerne noch einmal vorbei. Die Welt fühlt sich unfair an, als ob alles sich gegen mich verschworen hätte. Diese Situation gerade habe ich nicht verdient.

Wenn Gedanken und Gefühle dieser Art hochkommen und ich sie nähre, indem ich mich in der Opferrolle suhle, verneine ich meine eigene Schöpferkraft. Damit möchte ich nicht sagen, dass ich die Wartesituation erschaffen habe und das Karma mir eine Lektion erteilt. Aber ein Verharren und Nähren der Sicht, dass ich ein Opfer meiner Umstände bin, negiert meine Schaffenskraft.

Vom Umgang mit dem Warten

Bei einer kürzlich aufgetretenen Wartesituation, in der dieser Artikel entstanden ist, habe ich meinen eigenen Umgang mit Warten hinterfragt. So blöd dieser Satz ist, hilft er mir doch: „es ist, wie es ist“. Ich ergänze ihn für mich noch mit „und ich kann es gerade nicht ändern.“

Was verändert sich durch das Fühlen dieses Satzes?

Wichtig ist zunächst, dass ich den Satz mir nicht selber als schöne Geschichte erzähle. Ich halte nichts von Affirmationen vor dem Spiegel. Wenn ich einen Satz innerlich nicht fühle, belüge ich mich in dem Moment selber. Was verstärke ich, wenn ich vor dem Spiegel stehe und mir sage „ich liebe dich“, es im Inneren aber nicht fühle? Ich verstärke meinen Zweifel und meinen Unglauben an das Gesagte.

Ebenso funktioniert der oben genannte Satz beim Warten nicht als Allheilmittel, wenn ich ihn so daher sage. Ich brauche mein inneres „Ja“ zur momentanen Situation.

Das Ende des inneren Kampfes

In dem Moment, in dem ich ein inneres Ja zur Situation spüre, gebe ich den Kampf auf:
– Ich akzeptiere die Ohnmacht
– Ich erkenne an, dass ich nicht kontrollieren kann
– Ich löse mich von der Opferrolle
Und: ich komme im Jetzt an, in der Situation, die gerade so ist, wie sie ist.

Das „innere Ja“ üben

Ich bin überzeugt, dass ich und damit auch du ein inneres Ja üben kannst. Damit meine ich nicht, dass du den Satz nur oft genug sagen musst, um ihn dir dann zu glauben. Sondern ich meine, dass du in Situationen, die du gerne anders hättest, dich aktiv mit ihnen auseinandersetzt, z. B. mit Fragen wie
– Was stört dich gerade konkret?
– Welche Gefühle weckt die momentane Situation in dir?
– Kommen deine Gefühle aus der Situation oder aus deinen Gedanken über die Situation?

Durch Fragen wie diese distanzierst du dich von der momentanen Situation. Normalerweise bin ich kein Freund davon, Distanz zum Jetzt herzustellen. Der aktuelle Moment ist das einzige Leben, das wir haben. Durch Fragen wie oben stehend, kannst du jedoch im Inneren einen Raum für andere Sichtweisen schaffen.

Macht Warten mit dem inneren Ja Spaß?

Es kommt auf die Situation an, ob aus genervtem Warten tatsächlich Spaß werden kann. Auf der Autobahn habe ich während des Schreibens dieses Artikels einiges an Spaß gesehen: Kinder haben mit ihren Vätern Fußball gespielt, Jugendliche haben ausprobiert, wie weit sie aus dem Stand springen können. Und ich habe beim Betrachten der Berge einen dieser magischen Momente erlebt, in denen ich die Schönheit der Natur bestaune und mich mit allem verbunden fühle. Dennoch wäre mir eine Fahrt ohne Stau lieber gewesen, auch wenn es dann einen ganz anderen Artikel gegeben hätte.

 

PS: insgesamt haben wir vor dem Gotthard Tunnel 4 Stunden Stau gehabt.

 

Bildnachweis für diesen Beitrag: Stau, Autos, St. Gotthard © Anne Poger (alle Rechte vorbehalten)

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